Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
verhieß im Gegensatz dazu ein wenig Freundlichkeit. Ein wenig Sicherheit.
Ganz gewöhnen würde Crevi sich an dieses Leben, an diese ständige Flucht und die Angst davor, einer Gefahr zu begegnen, wohl nie. Sie fragte sich, ob dies überhaupt möglich war.
Niemand schenkte uns Beachtung, als wir die Schankstube betraten. Dennoch spürte Crevi meine Anspannung, was sie dazu veranlasste, verunsichert die Gesichter der übrigen Gäste zu studieren und bang nach etwaigen Feinden Ausschau zu halten. Ich beeilte mich, uns ein Zimmer zu besorgen. Erst nachdem wir unsere Bleibe für die Nacht betreten hatten und ich mich davon überzeugt hatte, dass wir auch wirklich alleine waren, brach ich das Schweigen.
» So, da wären wir.«
» Glaubst du wirklich, das wäre nötig gewesen?«, erkundigte sich Crevi zweifelnd und ließ sich auf eines der Betten sinken.
Ich zuckte mit den Schultern. Prüfte noch einmal den Riegel vor der Zimmertür . »Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir verfolgt werden.«
» Wie kommst du darauf?«
» Ich weiß es nicht.«
» Ich vertraue dir«, sagte sie schließlich.
» Tust du das?«, ich klang unsicher. Vielleicht sogar ein wenig belustigt, aber das könnte auch Einbildung gewesen sein.
» Ja.«
» Das ist mutig von dir.«
» Ist es das?« Jetzt war sie doch verwirrt.
» Ich fürchte schon.«
Darauf wusste sie nicht recht etwas zu sagen. Also beließ sie es bei einem schlichten : »Ja.«
Eine unangenehme Pause folgte.
»Tja«, räusperte ich mich und sah kurz zu Boden. »Hast du Hunger?«
Sie blinzelte kurz. Sagte dann hastig : »Ja. Schon.«
Lächelte schnell.
»Gut. Dann hole ich uns was.« Ich wandte mich zum Gehen, drehte mich dann aber doch noch einmal zu ihr um und hob mahnend einen Finger. »Ich bin gleich wieder zurück, also mach solange keine Dummheiten.«
» Keine Sorge, werde ich schon nicht«, erwiderte sie.
Daraufhin zog ich die Tür hinter mir ins Schloss und war verschwunden.
Crevi ertappte sich dabei, wie sie langsam und lang gezogen die Luft ausstieß. Aus irgendeinem Grund beruhigte sie meine Abwesenheit. Beinahe so als wäre ich eine Bedrohung für sie, die sie nicht recht in Worte fassen konnte. »Unsinn«, seufzte sie.
Dennoch hatte das Unwohlsein zwischen uns förmlich in der Luft gelegen. Ein Unwohlsein, das vorher nicht da gewesen war? Ja, ganz genau. Diese Unruhe war eindeutig neu.
Ihr wollte dafür nur eine sinnvolle Erklärung einfallen.
Ich habe ihn morden sehen.
Selbst jetzt noch konnte sie die Leiche nicht aus ihren Erinnerungen verdrängen. Immerzu befürchtete sie, sobald sie die Augen schloss, jene Szene erneut vor sich zu sehen.
Ohne, dass sie es verhindern konnte, blickte sie jedoch in ein gänzlich anderes Antlitz . »Dad…«, wisperte Crevi und verstummte gleich darauf. Sie verspürte das dringende Bedürfnis zu weinen, vermochte jedoch keine einzige Träne zu vergießen.
Wie viele Tote hatte sie in der letzten Zeit gesehen?
Die massakrierten Soldaten auf dem Brunnenplatz. Die einsame junge Frau, verstümmelt. Die Dorfbewohner, deren Leichenberge lichterloh brannten. Den unschuldigen Dorfvorsteher, dem man genüsslich das Genick gebrochen hatte – und nun Willem Irrwig, ihren leiblichen Vater, über den auf grausamste Weise gerichtet worden war. Es waren zu viele. Und doch hatte Crevi sich nie für ihren Tod verantwortlich gefühlt. Tat sie es etwa jetzt? Nein, aber sie sollte es. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie diese Schuld wirklich auf sich nehmen konnte, ohne daran zu Grunde zu gehen.
Es war ihre Entscheidung gewesen, die mich dazu gezwungen hatte, Willem Irrwig zu ermorden. Hätte sie Ennyds Plan nicht zugestimmt, wäre es vermutlich niemals so weit gekommen… sie hatte den Tod eines Menschen zu verantworten. Und trotzdem war ich es, der diese Last und Schande nun zu schultern hatte.
Crevi konnte allerdings auch nicht von sich selbst behaupten, dass es ihr gelang so zu tun, als wäre das alles nicht passiert. Jedes Mal, wenn sie mich ansah, sah sie auch mein zweites Gesicht. Dieses Gesicht, das sie vorher nie bemerkt hatte. Es ist genauso, wie Vlain gesagt hat , musste sie sich eingestehen. Nur dass es nicht ihn, sondern Adrian getroffen hat.
Schaudernd erinnerte sie sich seiner Worte: Du müsstest nur einmal dabei gewesen sein. Das war sie gewesen. Du würdest nicht mehr an mich denken können, ohne von unsagbarem Grauen gepackt zu werden. Das stimmte. Ich bin ein Meuchler, eine Kreatur, die es nicht
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