Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
welche Rolle Ennyd Riddle bei alledem spielte – was zweifelsohne am bedenklichsten war.
Immerhin war der Mann, im Gegensatz zu Yve und Jayden, ein Phantom, was ihn ein wenig gefährlicher machte, als die anderen beiden.
Was also hatte es mit unserem mysteriösen Dieb auf sich?
Ich hatte mich niemals genauer mit Ennyd beschäftigt, das musste ich zugeben. Für mich war der Mann nicht mehr als ein etwas seltsamer – und manchmal überaus nerviger – Gefährte gewesen, den es jedoch nicht weiter unter die Lupe zu nehmen lohnte. Eine Prise offen zur Schau getragene Rätselhaftigkeit, um die Kuriosität zu wahren, ein wenig Brimborium hier, ein paar kryptische Bemerkungen dort, in der Hinterhand eine recht beträchtliche Summe geheimnisvoller Bekanntschaften und ein nicht geringes Selbstbewusstsein und man hatte einen Ennyd Riddle. Gab es da mehr zu wissen?
Anscheinend schon.
Die Andeutung einer mir stets verborgen gebliebenen Tiefgründigkeit, die er Yve gegenüber gezeigt hatte sowie seine Arglosigkeit bei unserer letzten Lagebesprechung hatten mir mehr zu denken gegeben, als ich mir eingestehen wollte.
Was mich jedoch wirklich, wirklich bedenklich stimmte, war die Tatsache, dass ich nicht in seinen Kopf eindringen konnte. Es erschien mir selbst so unglaublich, dass ich es zunächst gar nicht wahrhaben wollte.
Sobald ich versuchte, in Ennyds geistige Sphäre einzudringen, stieß ich auf Widerstand! Das war definitiv nicht normal. Nicht einmal die Mitglieder der Bande – die ansonsten eine sehr detailreiche Ausbildung genossen – wurden darin unterrichtet, ihren Geist vor fremden Zugriffen zu schützen. Wie also konnte das sein?
Einen derart festen Schutzpanzer konnte man für gewöhnlich nur nach jahrelanger Übung erschaffen und ihn selbst dann nicht dauerhaft aufrechterhalten. Doch gleich zu welcher Zeit ich es versuchte, die unsichtbare Mauer war stets da. Unbeugsam. Mysteriös. Gefährlich? Selbst wenn er schlief, konnte ich keine Lücke in dem undurchdringlichen Geflecht geistiger Vorstellungskraft finden.
Ich fragte mich, ob er meine fruchtlosen Versuche, in seinen Gedanken zu stöbern , bemerkt hatte. Ich fragte mich, ob es möglich war, dass Ennyd zusätzlich zu seinem angeborenen Makel und der Gabe eines Phantoms einen Posten als Seelendieb bekleidete.
Um dies herauszufinden, hatte ich Myriam darum gebeten, Nachforschungen zu betreiben und eventuell Noah McDare hinzuzuziehen, der als Seelenberührer des Spindelmeisters (offiziell war er im Ruhestand), mit Sicherheit genauere Kenntnisse über die Gardisten besaß, als wir.
Zurück in unserem Unterschlupf wurde ich so abrupt aus meinen Gedanken gerissen, dass ich mich einen Moment lang nicht rühren konnte. Ein vertrauter Geruch umspielte meine Nase und ließ mich frösteln.
Von Crevi, Yve und Jayden fehlte jede Spur.
»Mist, verdammter!«, entfuhr es mir und im Nu stürmte ich die Leiter zum Heuboden hinauf, ohne auf Ennyds verwirrte Rufe zu reagieren.
Das konnte doch nicht wahr sein!
Die ganze Zeit über war ich so vorsichtig gewesen und ausgerechnet jetzt, da ich meinen Schützling ein einziges Mal alleine ließ, sollte ich meine Unachtsamkeit bereuen?
Ich stürmte duch die Scheune bis zu meinem Schlafplatz, wo mich inmitten der Decken und des Strohs ein in dünnes Leder eingeschlagener Gegenstand erwartete.
Ehe ich danach griff, musterte ich voller Misstrauen den Heuboden, durchlöcherte jede noch so kleine Nische, in der sich jemand versteckt halten mochte, mit tödlichen Blicken und blinzelte gegen das einfallende Sonnenlicht in Richtung Decke, die durch eine allgegenwärtige Staubschicht verschleiert wurde.
Das Knarren einiger Bodenplanken ließ mich herumfahren.
» Ich bin’s nur!« Ennyd hob abwährend die Hände und fächerte wenig hilfreich den aufgewirbelten Dreck bei Seite, was diesen sich nur noch verdichten ließ. »Was, im Namen des Schöpfers, ist denn eigentlich los?«
» Sie war hier.«
» Wer?«
» Sie «, wiederholte ich aufgebracht, als läge die Antwort ganz klar auf der Hand.
Der Dieb kratzte sich knapp unterhal b seiner Augenklappe, unter der wie zur Bekräftigung seiner aufrichtigen Nervosität, dünne Eisadern hervorbrachen. »Schon gut, schon gut. Ich glaube, ich weiß, wen du meinst.« Er lachte angespannt. »Ist ja nicht so schwierig zu erraten. Es gibt ja nur ein Mädel, das nicht auf unserer Seite ist.«
In einem Anflug wilder Raserei schlug ich mit voller Wucht gegen einen nahe stehenden
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