Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
und Ochsenkarren versiegte.
» Das gefällt mir nicht mehr«, meinte Yve nach einer Weile.
» Was?«
» Das alles hier. Irgendwie unheimlich.«
Vlain runzelte die Stirn . »Das bildest du dir ein.«
» Nein«, behauptete auch Crevi. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
Frauen!
Er blieb stehen.
Crevi stolperte in ihn hinein, entschuldigte sich und schaute zu den hohen Hauswänden hinauf, die sie von beiden Seiten umgaben.
»Da ist nichts«, sagte er mit Nachdruck.
Sie gingen weiter.
Wenngleich Vlain die Befürchtungen der Frauen nicht teilte, so überkam ihn doch der dringende Wunsch in eine belebte Gegend vorzudringen.
Urplötzlich hörte er ein Schlurfen.
Gleichzeitig drehten die drei sich um und schauten den Weg, den sie gekommen waren, zurück.
Am Ende der Straße erschien eine gebeugte, lumpige Gestalt.
»Es ist nur der Bettler«, sagte Yve.
Er ist uns gefolgt?
»Was…hat das zu bedeuten?« Crevis flüsternde Stimme.
» Woher soll ich das wissen?«
» Entschuldige.«
Vlain holte tief Luft.
Humpelnd hielt der Bettler auf sie zu. Da beschlich ihn die Vermutung, dass der Mann gar nicht wirklich zu humpeln brauchte. Ein Feind? Jemand, der erfahren hatte, dass sie sich auf die Suche nach einem Heilmittel machten? Jemand der Garde?
Doch Vlain musste zugeben, dass er nicht wie ein Gardist aussah.
»Was willst du?«, rief er dem Fremden zu.
» Ein paar Taler, nur ein paar Taler…«
Vlain tauschte einen Blick mit Yve.
Der Geselle erreichte sie und streckte Crevi die geöffneten Handflächen direkt unter die Nase.
» Scher dich weg!«, fuhr Vlain ihn an und stieß ihn von seiner Schutzbefohlenen fort.
Wie ein Blatt Papier, das man versucht hatte aufzustellen, sank der Mann in sich zusammen.
»Habt ihr denn keine Gnade?«, flüsterte er.
» Warum bist du uns gefolgt?« Yve machte einen Schritt in seine Richtung und baute sich, den Degen in der Hand, vor ihm auf. Vlain drängte Crevi außer Reichweite des Verfolgers und schirmte sie von vorne ab.
» Nein.«
» Nein, was?«
Plötzlich standen ihm die Tränen in den Augen . »Ich bin euch nicht gefolgt.« Er wich vor ihr zurück.
» Sag uns die Wahrheit.«
» Ich will euer Geld nicht!«, kreischte er unvermittelt, wie von Sinnen, schlug sich die Hände vors Gesicht, als mache ihn das unsichtbar.
Yve zog die Augenbrauen nach oben.
»Ich warte.«
Sie klang eiskalt.
»Nein!«
Die Rebellin ließ das Handgelenk kreisen und stemmte eine Hand in die Hüfte . »Bist du uns gefolgt?«
» Nein!«
» Wohin wolltest du?«
» Ich laufe im Kreis, immer nur im Kreis…« Er warf sich auf den Bauch und seine zuckenden Finger malten einen Kreis in den Straßenstaub.
» Wie bitte?« Yve stieß ihn bei Seite und betrachtete die mysteriöse Zeichnung.
» Wer hat dich geschickt?«, versuchte Vlain es noch einmal an ihrer Stelle.
» Gefahr…die Gefahr, direkt vor mir!« Der Bettler fuhr sich mit beiden Händen an die Kehle und krächzte, als durchtrenne eine Klinge ihm die Halswirbel.
» Hoffnungslos.« Die Rebellin verzog den Mund. »Vielleicht meint er…«
» Mich«, entfuhr es Crevi, die am ganzen Körper zitternd hinter ihm stand. »Vielleicht meint er mit der Gefahr mich.«
» Kennst du diese Frau?«, stellte Yve sogleich die Frage.
Der Mann antworte nicht. Wälzte sich gurgelnd auf dem Pflaster, als hätte er Schmerzen.
»Antworte!« Sie trat ihm in die Seite und zeigte erneut auf Crevi.
» Ja, ich kenne sie…«, wimmerte er.
» Na endlich.«
Vlain drehte sich zu der jungen Frau herum und zog sie in seine Arme. Sogleich klammerte sie sich an ihn und vergrub das Gesicht an seiner Brust . »Er wird dir nichts tun«, flüsterte er.
» Wie lautet dein Auftrag?« Yve beugte sich gefährlich nahe zu dem Bettler und ließ die Spitze des Degens vor seinen Augen auf und nieder tanzen.
» Bitte…lasst die Fragerei…bitte…« Der Bettler weinte wieder. Er rollte sich zu einer Kugel zusammen und vergrub den Kopf in den Händen.
» Du brauchst uns nur zu antworten. Dann wird es schnell vorbei sein.«
» Ich will nicht sterben…bitte…bitte…«
» Wer hat denn gesagt, dass wir dich umbringen wollen?«
Er schrie gellend auf und warf sich von einer Seite auf die andere.
Vlain erkannte, wie sein Gesicht zu zucken begann und sich seine Glieder krümmten. Ein Dämon? Doch er verwandelte sich nicht.
Dafür schrie er – er schrie sich die Seele aus dem Leib.
»Wer bist du?«
Mit schweißnasser Stirn blieb er eine Weile liegen und starrte
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