Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
von einem Insekt an ihrem Fuß derart abgelenkt worden, daß sie den leisen Schmerz ihrer Entjungferung erst empfand, als schon alles vorbei war. Leon hatte gerührt ihre Tapferkeit gelobt. Er hätte sich bei dem Käfer bedanken sollen.
Therese drängte nichts danach, mit Leon zu schlafen, doch es mißfiel ihr auch nicht. Sie spürte die Bewegungen Leons nicht ungern. Sie hätte das viel länger haben mögen. Wenn es dann soweit war, fragte Leon jedesmal: Was spürst du? Was spürst du? Für Sekunden schien er offen. Ein Mann, der Schmerz empfinden konnte und verletzbar war. Jedenfalls sah Therese das so. Hätte sie ihm sagen sollen, daß da so eine Ahnung in ihr war? Eine Hoffnung? Fast ein Flehen, daß irgend etwas aufbrechen möge, durchbrechen, daß sie den echten Leon finden möge, den, dessen Gesicht tiefe Spuren zeigte, die ihm seine Lust eingrub. Der aber dann, wenn er mit kleinen Schreien auf ihr zusammenbrach,allzu schnell wieder Leon war, der Schulmeister, der disziplinierende, Gehorsam fordernde.
Einmal, sie hatten gerade miteinander geschlafen, Leon lag ruhig und auch Therese blinzelte mit seltsam schläfriger Zufriedenheit in die Sonne, da sagte Leon unvermittelt mit harter Stimme: »Es wird höchste Zeit, daß Sybille mal Manieren beigebracht werden. Wenn sie keine Lust hat, grüßt sie mich nicht einmal.« Therese hatte Sybille verteidigt. Sie wollte Leon erklären, daß Sybille manchmal verträumt sei, in sich verstrickt, daß sie es jetzt gerade in der Schule so schwer habe. Erst gestern habe ihr Lehrer gesagt, daß Juden bei ihm nichts zu melden hätten. Da sei Sybille den ganzen Tag verstört und in sich gekehrt gewesen. Leon jedoch war nicht auf Thereses versöhnlichen Ton eingegangen. Er hatte sie angeschrien, daß sie natürlich niemals auf seiner Seite sein könne. Und dann war auf Therese die übliche Flut von absurden Anschuldigungen niedergegangen, die ihre und Leons Streitgespräche einläuteten und an deren Ende Therese sich schuldig fühlte, damit sie nicht die Konsequenz aus Leons Verhalten ziehen mußte.
Auch ohne Paula wäre Thereses Ehe vermutlich ins Leere gelaufen. Eine Zeitlang hatte Therese noch versucht, sich selber zu belügen, vorzugeben, daß es Paula Berger gewesen sei, die ihr Leon weggenommen und dadurch Thereses Ehe endgültig zerstört hatte. Doch wenn Therese ehrlich zu sich selber war, sah sie die wahren Gründe für das Scheitern ihrer Ehe ganz woanders.
Viel stärker als Paula war das hilflose Entsetzen, das Leon und Therese voneinander trennte. Das Entsetzen darüber, daß ihre jüdische Abstammung sie brutal aus dem Lebensplan herausstürzte, den Leon für sie entworfen hatte. Natürlich sah Leon, daß außer ihm Tausende andererJuden ausgesondert wurden aus der Gemeinschaft. Doch die Tragödien anderer erreichten ihn nicht wirklich. Leon interessierte sich nur für Leon. Nicht einmal Thereses Geschick beschäftigte ihn sonderlich. Als sie im zweiten Semester die Universität verlassen mußte wie alle jüdischen Studenten, scherzte Leon nur, daß ein Medizinstudium ohnehin für eine Frau nichts als Plackerei sei. Therese, die ihr Studium zunächst ohne allzugroße Neigung begonnen hatte, war gerade dabei, sich hineinzufinden, ging mit immer stärkerem Interesse in die Vorlesungen. Sie bekam eine gelbe Studentenkarte, die sie als Nichtarierin auswies. Die Kommilitonen hatten braune Karten. Gelbe Karten waren schlechte Karten. Sie bedeuteten schließlich das Aus.
Nie würde Therese den Tag vergessen, als sie aus der Universität kam und durch den Englischen Garten nach Hause ging. Es war ein warmer Junimorgen. Aus einem Haus in der Königinstraße, dessen Fenster geöffnet waren, hörte sie Hitlers bellende Rundfunkstimme, und sie erinnerte sich daran, wie sie ihn neulich wieder einmal gesehen hatte. Es war in Seebruck gewesen. Durch die Hauptstraße war Hitler gefahren, im gepanzerten Wagen. Therese hatte sein Gesicht teigig gefunden, vollmondig. Der herrliche Führer. Es hieß, in Berchtesgaden hätten Frauen den Kies verschluckt, über den Hitlers Füße gegangen waren.
»Mit uns zieht die neue Zeit.« Therese hörte die Schritte, die hellen jungen Stimmen. Das war wieder ein Trupp BDM-Mädchen, die im Englischen Garten Gymnastik und Tanz übten. Es war nur eine kleine Mädelschaft, die da heranmarschierte, vielleicht zwölf oder fünfzehn Mädchen. Alle im Alter von Sybille. Sie trugen blaue Röcke, weiße Blusen und Berchtesgadener Jäckchen, dazu ein
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