Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
übertrieben.
So, glaubte Therese, könnte das mit Ivan gewesen sein. Sicherlich war es mit Vater ebenso gegangen. Er hatte Mutter sicher auch für einen Tag geliebt, und alle weiteren Gefühle verschwendete er an andere Frauen und an sein Segelboot. Thereses Vater hatte einen großen Teil seiner Kindheit am Chiemsee verbracht, wo die Familie ein Haus direkt am See hatte. Seit seiner Studentenzeit war Vater im Akademischen Segelverein. Er hatte ein Kielboot mit 30 qm Segelfläche und war ein erfolgreicher Regattasegler. Schon als kleines Mädchen lernte Therese die Vorschot zu bedienen, eine Wende oder Halse zu fahren, Mann-über-Bord-Manöver zu üben. Bei Sturm, besonders, wenn es dabei regnete und man das Seeufer nicht mehr erkennen konnte, segelte Thereses Vater am liebsten. Nicht die attraktivste Frau konnte einen derart erwartungsvollen und gleichzeitig strahlenden Gesichtsausdruck in Vaters Zügen bewirken, wie es ein aufkommender Sturm auf dem Chiemsee zustande brachte. »Ich glaub, da hinten braut sich etwas zusammen«, sagte Vater dann und rieb sich die Hände, während alle anderen im Boot sich festhielten oder nach der Schwimmweste suchten. Wenn dann der Regen das Wasser attackierte, der grüne Chiemsee eine zentimeterhohe Gischtkrone hatte, der Sturm die Wellen wieder und wieder über das Schiff stürzte – wenn die Krängung so stark war, daß die »Möwe« jede Sekunde zu kentern drohte, dann leuchteten Vaters sonst eher unbeteiligt wirkende Augen. Er lachte milde über die Angst eines Segelgastes, der sich zitternd in die Kajüte verkroch, und er war stolz auf Therese, die sich gegen die Bordwand stemmte und ihm half, die Segel zu reffen. Dann, sekundenlang, fühlte Therese sich von ihrem Vater geliebt.
Hatte Leon Therese geliebt? Auch einen Tag lang vielleicht, aber an welchem? Ganz sicher nicht am Hochzeitstag.
Therese wußte, was Leon über sie dachte. Therese war eine ungezogene, würdelose Braut. Wie konnte sie es wagen, so vertraut mit diesem Gutman zu tanzen. Der Kerl war arrogant genug, dabei war ihm alles in den Schoß gefallen. Leon konnte sich immer maßlos aufregen über Kollegen, die mit Geldmitteln reich ausgestattet waren, während Leon von seinen Eltern knappgehalten, immer nur gerade so über die Runden gekommen war. Er hatte keinerlei Mittel, eigene Forschungsarbeiten zu finanzieren, wie es Ivan möglich war, der über ein großes Vermögen verfügte.
Die Tatsache, daß Thereses Eltern ebenfalls vermögend waren, hatte bei Leons Werbung um Therese eine Rolle gespielt. Daran hatte Therese keinen Zweifel. Es störte sie nicht. Wäre sie, Therese, arm gewesen, hätte sie sicher auch nach einem vermögenden Mann Ausschau gehalten. Mittellos zu sein, hielt Therese nicht für erstrebenswert, und so konnte sie Leon verstehen, daß er seine wirtschaftlich eher bescheidene Existenz durch eine vermögende Ehefrau verbessern wollte. Das war klug von Leon.
Dafür fand sie es albern und spießig, wie Leon ihr den Hochzeitstag vermieste. Doch dann verstand sie es auch wieder. Schließlich war sie selbst während des ganzen Tages in einem Zustand gewisser Verblödung gewesen. Schon auf dem Weg zum Standesamt hatte sie nur gehofft, daß es doch schon vorbei sein möge. Als sie schließlich vor dem Standesbeamten standen, hatte plötzlich Sybille hinter Therese getuschelt: »Wenn du es nicht willst, warum tust du es dann?«
Am späten Abend im Bett neben Leon fiel Therese diese Frage Sybilles wieder ein. Warum lag sie hier neben demfest schlafenden Leon? Thereses Beine waren kalt bis hinauf zu den Knien, sie mochte sie massieren, soviel sie wollte. Schließlich bekam sie noch einen Krampf in den Fußsohlen. Schöne Hochzeitsnacht. Leon hatte Therese beschimpft. Sie eine eitle, gefallsüchtige Gans genannt. Durchtrieben sei sie. Wenn er, Leon, das nur geahnt hätte! Ausgerechnet diesem Gutman, diesem blasierten Affen, mußte Therese sich an den Hals werfen. Ihn vor seinen Kollegen derart zu blamieren.
Im Grunde war Therese ganz froh über diese mißliche Entwicklung der Dinge. Sie hätte heute keine Lust gehabt, mit Leon zu schlafen. Sie hatten schon einige Male geübt. Meistens im Wald, wo Käfer auf Therese herumkrabbelten und Steine oder spitze Gräser sie piesackten. Wo sonst hätten sie der Lust Leons nachgeben können? Im Hause Suttner waren Intimitäten vor der Ehe nicht im Programm, jedenfalls nicht für die Tochter, und Leon war ohnehin ein Naturliebhaber. Beim erstenmal war Therese
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