Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Schlafzimmer kam. Leon arbeitete abends lange. Er las, übersetzte medizinische Artikel ins Englische, und Therese hörte ihn immer, auch wenn er noch so leise ins Bett schlüpfte. Und jedesmal war es ein Moment der Spannung, besonders wenn sie am Tag gestritten hatten. Die Fremdheit und die Streitereien zwischen Leon und Therese nahmen Leon offenbar nichts von seiner Lust – jedenfalls war Therese selten umsonst wachgeworden. Bei Nacht, so erklärte es sich Therese, war sie für Leon vielleicht wieder das schöne Kind, das er auf den Schultern getragen hatte. Wenigstens bei Nacht schien Therese Leons Träume zu erfüllen.
Das änderte sich auch nicht, als Leon Paula traf. Zumindest in der ersten Zeit nicht. Therese wußte, daß Leon Paula nicht liebte. Jedenfalls liebte er sie nicht, weil sie Paula war. Er brauchte sie, weil er sich in ihrer Gegenwart nur halb so jüdisch fühlte, weil sie den Leprageruch von Leon nahm, den Verachtungs- und Verwesungsgeruch. Paula gehörte zur Herrenrasse, sie war Arierin. Eine Berufskollegin von Leon, die als niedergelassene Ärztin in Ingolstadt lebte. Paula war drei Jahre älter als Leon und geschieden. Sie wollte das Risiko auf sich nehmen, Leonmit einem gefälschten Paß in ihrer Praxis mitarbeiten zu lassen. Leon sollte bei ihr im Haus wohnen und an den Wochenenden zurück nach München kommen.
Therese war von diesem Vorschlag nicht sonderlich überrascht, seit sie Paula bei Leons Eltern kennengelernt hatte. Als sie die Glitzerblicke sah, die Paula für Leon hatte, waren alle im Raum Statisten im erotischen Spiel zwischen Paula und Leon. Auch Therese hatte nur eine Nebenrolle. Alle Trümpfe lagen bei Paula, der arischen Retterin Leons. Paula, eher klein und rundlich, mit einem üppigen Busen, war äußerlich geradezu ein Gegenstück zu Therese. Doch kein Zweifel, für Leon war sie eine große Chance. Mit Hilfe Paulas konnte er vielleicht durch das Netz des Terrors schlüpfen, von Paulas glitzernden Augen einmal ganz zu schweigen. Hätte Paula Therese nicht ständig mit so einem klebrigen Mitleidsblick angesehen, wäre sie Therese gar nicht einmal unsympathisch gewesen.
Sie hörte, wie Leon fragte, was Therese denn von Paulas Vorschlag halte. Therese fragte zurück, warum Leon denn nicht gleich um die Scheidung bitte, das sei doch ehrlicher. Für einen Moment war es still im Zimmer. Therese sah, wie Leons Mutter ihren Stock umklammerte, daß die Knöchel ihrer Hand hell hervortraten. Alle sahen auf Therese. Doch sie war völlig ruhig. Ihr erschien alles vernünftig und logisch, was da passierte. Trotzdem hätte sie dieser arischen Schlummerrolle, dieser dicken Paula, das Glitzern aus den Augen schlagen mögen. Wieso benahm die sich so gönnerhaft? Sprach mit Therese wie die gute Fee zum Aschenbrödel. »Sie tun mir ja so leid«, sagte Paula, und es war nicht ganz klar, ob sie damit nur Therese meinte oder die gesamte Familie Rheinfelder, in deren Mitte Paula die einzige erbgesunde Deutsche war. Jedenfalls fand Therese, daß Paula eine taktlose Männerfängerin sei, die sich unter dem Anschein des Mitleidens und Helfenwollens die trostloseLage Leons zunutze machte. Diese Sicht der Dinge war sich Therese einfach schuldig. Hätte sie vor sich selber zugeben sollen, daß Leon Paula ihr vorzog? Daß er in Paula wirklich verliebt war? Vielleicht in ihren großen Busen? Oder was war an Paula sonst noch attraktiver als an Therese? War es das Glitzern in Paulas Augen, das Leon interessantere sexuelle Perspektiven eröffnete? Auf jeden Fall hätte Therese es Paula am liebsten schriftlich gegeben, daß sie ohne die Rassengesetze Hitlers bei Leon keine Chance gehabt hätte.
Doch dazu war Therese inzwischen zu sanftmütig. So ganz konnte sie noch nicht begreifen, was sie seit drei Tagen wußte. Sie war schwanger. Auch das noch, hatte sie nach dem ersten Erbrechen gedacht, auch das noch. Da begreift man seine eigene Existenz als Jüdin nicht und dann setzt man ein jüdisches Kind in die Welt. Ich bekomme ein Kind, dachte Therese. Ein jüdisches Kind. Und mein Mann ist gerade dabei, sich mittels einer Arierin von seinem Jüdischsein loszukaufen.
Therese ließ sich nur allzugern vom Tempo der Ereignisse lähmen. Sie nahm es quasi als Entschuldigung dafür, daß sie als Ehefrau völlig versagte, daß sie Leon Paula überließ, obwohl sie sicher wußte, daß die Tatsache ihrer Schwangerschaft Leon fest an sie gebunden hätte. Doch gerade das wollte Therese nicht. Leon sollte nicht gebunden
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