Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
die Soldaten zu Pferde in die Schlacht ziehen. Die Idealisierung von Hitlers Kampfzeit war Schwerpunkt in den Arbeiten Hoyers. Der Maler Adolf Ziegler, der auch die Ausstellung entartete Kunst organisiert hatte, malte fleischesfrohe Frauenkörper, wobei sein detailgeübter Pinsel ihm im Volksmund den Namen »Meister des gekräuselten Schamhaars« einbrachte. Hitlers Starbildhauer, Josef Thorak, wurde allgemein wegen seiner Vorliebe für herkulisch gebaute Männer Professor Thorax genannt. Propagandaminister Goebbels hatte sich vor allem auf die Kunstkritik eingeschossen, die für seine Begriffe »in völliger Verdrehung des Begriffs Kritik in der Zeit jüdischer Kunstüberfremdung zum Kunstrichtertum geworden war«.
Therese waren derlei Auseinandersetzungen um künstlerische Qualität im Grunde völlig gleichgültig. Sie war bereit, jedem einzelnen seinen mehr oder weniger guten Geschmack zuzugestehen. Ob jemand Simples, Althergebrachtes mochte oder die Vertreter der Moderne, das Geifern Goebbels’ und Hitlers begriff sie nicht. Vielleicht hätte auch sie die Hoyers oder Fiedlers liebengelernt, wenn Mutter sie nicht schon als kleines Kind mitgenommen hätte in die Ausstellungen der Maler, die ihr wichtig waren. Wenn es allerdings stimmte, daß Hitler sämtliche Entartete verbrennen lassen wollte, so wie damals die Bücher, ließ dieser Gedanke Therese erstarren, und sie tröstete sich damit, was andere vermuteten, daß die Bilder ins Ausland verkauft würden. Die Nationalsozialisten hingen am Geld, davon konnte man ausgehen. Sicher würde der Geschäftssinn der Nazis die Bilder retten.
Therese war müde. Sie hatte keine Lust mehr, auf dieseBilder zu starren, die sie wahrscheinlich heute zum letztenmal sah. Und sie wollte auch nicht mehr Mutter zusehen, die im Weggehen versuchte, Bilder, die aus dem Rahmen gerissen waren, vom Boden aufzuheben, sie über andere Rahmen zu hängen. Bilder, das war – soweit Therese das beurteilen konnte –, was Mutters Leben bestimmte. Weil Therese die Murnauer Landschaften von Kandinsky mochte, auch das Bild der Kirche in Murnau, war Mutter eigens mit Therese und Sybille hingefahren. Mutter zeigte Therese und Sybille das Haus, in dem Kandinsky gewohnt und gemalt hatte. »Die Kirche hat er auch von seinem Atelier aus gesehen. Den Giebel, den Turm der Kirche, hier, die Hausdächer, im Vordergrund die Bäume der Kottmüller-Allee. Weil Kandinsky hier auf die Präzision der Nähe und der Details verzichtet hat, dominieren die Farben das Bild in der Weise, wie Kandinsky die Landschaft gesehen hat. Abbilden wollte er die Landschaft ja nicht.«
Wenige Tage nach dem Besuch der Ausstellung erfuhr Vater, daß er nicht mehr Mitglied im Akademischen Seglerverein war. Er hatte damit gerechnet. Es war inzwischen selbstverständlich. Selbstverständlich war auch, daß Therese nicht mehr mit Mutter im Café Stefanie sitzen konnte, wo sie immer die neuesten Kunstzeitschriften miteinander angesehen hatten. Auch im Café Luitpold stand jetzt auf einem Schild, daß Juden unerwünscht seien, ebenso im Café Annast und bei Erbshäuser. Und hier, wo man die Suttners seit Jahren kannte, konnte Therese nicht darauf vertrauen, daß sie für eine Arierin gehalten wurde.
Wie weit, fragte sich Therese, kann sich ein Mensch in sich selbst zurückziehen? Wie weit konnte sie die Absonderung aushalten? Es war Therese, als habe sie früher die Hände voller Glücksversprechen gehabt, und nun rann ihralles durch die Finger und sie konnte nichts festhalten. Wo auch immer sie hinging, überall waren die Hakenkreuze schon da, und aus den Straßen schien es ihr entgegenzuhallen, daß sie Jüdin war.
Wäre sie es doch. Wäre sie wenigstens so jüdisch, wie Sybille es war, seit sie die jüdische Schule besuchte. Sybille hatte jetzt wenigstens einen Gott, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Der jüdische Gott, so hatte es Therese von Sybille erfahren, ist nicht der transzendente Gott der Christenheit. Er wendet sich direkt an den Menschen, und der Mensch ist ihm gegenüber verantwortlich. Gott kommt dem Menschen entgegen, aber der Mensch muß auch Gott entgegenkommen. Sybille wollte Therese einbeziehen in die Rituale des jüdischen Alltags und der jüdischen Feste. Doch was wußte Therese von Pessach, von Rosch-Haschana, von Jom Kippur oder Chanukka? Es waren schöne fremde Worte für Therese und sie blieben eigentümlich leer.
Sybille dagegen war fasziniert von der jüdischen Glaubenslehre. Sie hielt den Sabbat
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