Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Hitler keine Ruhe gäbe, bis alles hin sei. Polizeiwachtmeister Hurler hatte die Anzeige nach München weitergeleitet, weil Kaspar Lechner gerade in Bad Tölz war. Der Bauer hatte vor dem Sondergericht weitergeschimpft und war jetzt in Dachau. Kaspar Lechner hatte es Therese erzählt, und wenige Tage später kam dann die Meldung vom Attentat auf Hitler im Radio. Aber er hatte ja wieder Glück gehabt. Und seit dem Attentat war die Gestapo noch schärfer, mußten die Menschen noch mehr aufpassen, was sie sagten.
»Max«, sagte deshalb Therese eindringlich, »Max, sprich mit niemandem darüber, ja? Viele Leute glauben, daßDeutschland den Krieg verliert. Die meisten glauben das, aber man darf es nicht laut sagen, Max.«
Maximilians Frage wagte sich Therese kaum selbst zu stellen. Die Fliegerangriffe, der ständige Alarm. Sie kamen von Italien über die Alpen. Pulks von Bombern flogen über Wiesham nach München. Im letzten Jahr waren in den Bergen einhundertvierzig Bomben gefallen.
Die dünnen Wände von Thereses Verschlag wurden für sie immer mitteilsamer. Ihr eisiges Iglu im Winter, ihr Wüstenzelt im Sommer, längst war es durchlässig für Therese. Jeder Laut von der Straße, die Stimmen von den Feldern, das Rangieren auf dem Bahnhof, alles ließ Therese teilhaben am Draußen. Thereses Versteck hatte unsichtbare Luken. Die Labyrinthe und Gänge der Holzwürmer, die sich in den Holzbalken bewegten, sie waren dem Wind eine Flöte, dem Regen eine Trommel. Sie teilten den Tag ein. Nach Kuhdung und Stallmist und Zichorie roch der Morgen, der Mittag roch nach Kraut und der Abend nach Kartoffeln und dumpfem Schlaf.
»Heut ist der letzte Ferientag«, sagte Maxl. »Geh, bittschön, Frau Doktor, noch eine Anni-Geschichte.«
Therese hatte Maximilian ganz vergessen. Er saß da und kaute am Stiel seines Apfels, und Therese sagte ihm, daß sie nur noch eine einzige Anni-Geschichte wisse. Alle anderen habe sie ihm schon erzählt. Und für diese Geschichte sei er eigentlich schon viel zu groß. Doch Maximilian gab nicht auf. Er versicherte, es sei schon deshalb wichtig, weil er der Stanzi versprochen habe, daß er beim nächstenmal wieder eine Geschichte wisse.
»Es ist deine Schuld, wenn du dich langweilst«, sagte Therese, und sie begann, Maxl die Geschichte von Marie, der Sennerin, zu erzählen. Die Geschichte hieß ›Der Schlangenkönig‹, und sie hatte sich in der alten Zeit, genau hier in Wiesham, abgespielt. Das hatte Anni gesagt. UndAnni wußte es vom Lechner Sepp. Der hatte die Geschichte von seiner Großmutter.
Marie, eine schöne junge Sennerin, lebte allein auf ihrer Alm. Aber ganz allein war sie auch nicht, denn jeden Tag kam eine Ringelnatter und sah die Sennerin aus dunklen, traurigen Augen an. Vielleicht bist du ja durstig, sagte die Marie und stellte der Natter einen Waitling mit frischer, schäumender Milch hin. Und die Natter trank alles bis zum letzten Tropfen. Und am nächsten Tag kam sie wieder. Am übernächsten kam sie ebenfalls, und auch am Tag darauf. Bald begann die Sennerin, sich auf den Besuch der Natter zu freuen. Und sie sprach mit ihr, denn die Marie war sonst ganz allein auf der einsamen Alm. Die Natter lag in der Sonne und bettete ihren Kopf auf den Fuß der Sennerin. Und wenn Marie arbeitete, folgte sie ihr überallhin.
Dann kam der Tag, an dem die Marie fortging von der Alm. Sie packte alles Nötige zusammen und ging hinunter ins Tal, denn da sollte ihre Hochzeit sein. Alles das erzählte die Marie der Natter. Sie vergaß keine Einzelheit. Und zum Abschied gab sie der Natter noch einen Teller mit der schaumigsten Milch.
Als die Hochzeit war, saßen Braut, Bräutigam und viele Hochzeitsgäste beim Altwirt in Wiesham. Und es ging hoch her, denn die Braut war sehr schön. Der Vater hatte reichlich Bier und Wein und den besten Braten auftischen lassen.
Plötzlich wurde das Geschrei jedoch ungewöhnlich laut. Man hörte viele Frauen kreischen: »A Natter, da is a Natter, naus mit dem Viech!« Da erhob sich die zarte junge Frau und schrie lauter als alle anderen: »Laßt s’ aus, des is mei Natter!« Plötzlich wurden alle still, denn sie sahen, daß die Natter eine Krone trug, eine Krone aus Gold mit herrlich funkelnden Diamanten. So fein geschmiedet, wieman es nicht einmal bei den Prinzessinnen auf der Hohenburg gesehen hatte. Ruhig schlängelte sich die Natter heran. Die junge Frau nahm sie liebreich in die Höhe, und sanft ließ die Schlange ihre Krone auf den geschmückten Platz der
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