Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
seine Arme noch fester um ihren Hals. Er flüsterte: »Sie sind nie dreckat gewesen.«
Thereses nasse Bluse hing über der Kommode, der Rock über dem Vertiko. Eingewickelt in das Badetuch, schlüpfte Therese in ihre Decken. Sie fühlte sich seltsam klebrig, aber wenigstens kühl. Sie konnte nicht schlafen. Wie schon so viele Nächte vorher. Doch seit heute wußte sie, wie es aussah, wenn draußen die Nacht sich zum Morgen erhellte. Sie hatte die Berge gesehen, die sich nah hinter dem Haus erhoben. Und hinter diesen Bergen hatte sie noch mehr und noch mehr Gipfel gesehen. Es war, als wollten sie miteinander wetteifern, wer höher in die Wolken hineinwachsenkonnte. Es war so dunkel, daß die Gebäude nicht zu erkennen waren, doch Therese kannte die Häuser im Miesbacher Stil, von denen keines höher war als zwei Geschosse. Die Gehöfte lagen zu zweit oder dritt nebeneinander, so als würden sie einander beschützen.
Als Kind war Therese mit Anni öfter im Isarwinkel gewesen. Die Anni stammte vom Lechnerhof in Steinbach. Wenn Therese dort mit Anni übernachtete, wurde sie am Morgen vom alten Sepp jedesmal gefragt, ob sie in der Nacht das Nachtgjaid gehört habe, die Venediger Mannderln, deren Klingeln man von den Bergen herab hören könne. Und er hatte Therese von den Geistern und Dämonen erzählt, die bei Nacht im Isarwinkel durch die Lüfte jagen. Die Dämonen bewachen dort ihre Goldschätze. Und wenn ein Bergwanderer im Kirchsteingebiet oder an der Propstenwand ihnen zu nahe kam, klingelten sie und schickten Geröll oder Schneelawinen, je nachdem.
Der Lechner Sepp war Annis Großvater. Er lebte im Austrag und konnte sich damit nicht befreunden. Er wurde immer knittriger und runzliger vor Groll. Aber seine Augen waren hell und schienen manchmal grün herauszufunkeln aus den braunen Furchen seines Gesichts.
»Mir g’hört net amal mehr a Besen, aber i darf ihn immer no in d’ Hand nemma.«
Der Altbauer sah anzüglich hin zu seinem ältesten Sohn, dem Michel, der den Hof übernommen hatte. Kaspar war der jüngere, der schon in seinem siebzehnten Lebensjahr vom Hof gegangen war.
Therese mußte damals genau zuhören, um die Sprache des Alten zu verstehen. Sie ließ sich seine Geschichten, die ihr so schöne Gruselgefühle machten, nachher von der Anni noch mal erzählen. Von dem Waller, der auf dem Grund des Walchensees schläft. Wenn er aufwacht und mit den Schwanzflossen um sich schlägt, wird ganz Bayern überschwemmt.Oder von Pontius Pilatus, der sich, als er Jesus Christus an die Juden ausgeliefert hatte, in seiner Verzweiflung von der Benediktenwand stürzte und seitdem im Felsen verdammt war. Alle geldgierigen, hiesigen Landpfleger müssen ihm da Gesellschaft leisten. Und noch heute kann man sie bei hereinbrechenden Unwettern Kegel schieben hören. Wenn einer den wilden Reiter gesehen hatte oder die böse Brut aus dem Höllenloch überm Rechelgraben, dann stand ihm Böses bevor. Und wehe den Isarflößern, wenn sie nachts mit den Schöffleuten Bekanntschaft machten. Sie kamen mit ihren Pferden flußaufwärts, und nur wenn ein Flößer sich auf den Boden warf und Arme und Beine überkreuzte, konnten ihm die Schöffleute nichts anhaben.
Vor allem an den Altwassern der Isar gab es zwei Geister, die man nicht ignorieren durfte. Das Wisperl und das Pfeiferl, das von manchen Leuten auch Tutli-Pfeiferl genannt wurde. Wer in den Rauhnächten oder zu Allerseelen das Wisperl zirpen hörte, der konnte auf schöne Jahre hoffen. Doch wehe, einer hörte das Tutli-Pfeiferl, dann drohte einem Unglück, Krankheit oder gar Tod. Der Bachmeier Benedikt hatte leichtsinnig den schrillen Pfiff des Tutli-Pfeiferls nachgeahmt, und drei Tage später trug man ihn zum Kirchhof hinaus.
Spuken tat’s an vielen Orten der Gemeinde Wiesham. Der Lechner Sepp kannte sie alle. An der Lohleiten, beim Pföderlbauern in Wegscheit, beim Almbach in Anger, an allen Brücken und Wasserläufen sowie am Mittelpfeiler der Isarbrücke, wo man einen riesigen Hund mit gefletschten Zähnen sehen konnte. Im Hohenburger Schloß ging die weiße Frau um, wenn jemand gestorben war. Auf jeden Fall war es besser, nach dem Gebetläuten am Abend keine einsamen Wege zu gehen. Doch wer sich einen Zweig von Wacholder oder Johanniskraut an den Hut steckte, dem konnte kein böser Geist etwas anhaben.
Alle diese Geschichten hatte Therese schon Maxl erzählt, der sie wiederum an seine Freundin Stanzi weitergab. Therese wunderte sich, daß Max und Stanzi immer noch
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