Besessen
Da wusste ich, dass wir nichts mehr tun konnten.
Ich starrte auf den Streifen gelbes Papier. Für einen Moment dachte ich daran, mir den Exekutionsbefehl zu schnappen und ihn in tausend Stücke zu reißen, aber das würde nichts bringen. So wie es aussah, war Nathan im Grunde schon tot.
„Was ist mit dem Orakel?“, fragte ich mit einem zaghaften Flackern von Hoffnung. „Was, wenn sie …“
Bretons Blick wurde eisig. „Niemand hat Ihnen die Erlaubnis gegeben, mit dem Orakel zu sprechen.“
„Wir waren im Begriff, Sie darum zu ersuchen, General.“ Max warf mir einen frostigen Blick zu. „Ich bin nur nicht so weit gekommen.“
„Das Orakel ist unnütz. Ich glaube nicht, dass sie je eine klare Voraussage gemacht hat. Und sie ist … unberechenbar. Zivilisten mit ihr zu konfrontieren, ist zu riskant.“
„Ich glaube, das kann ich selbst entscheiden.“ Das war genau die falsche Taktik, leider erkannte ich es zu spät.
Der General schüttelte knapp den Kopf. „Wir sind hier fertig. Sie dürfen sich entfernen.“
Max legte seine Hand auf meinen Arm. „Lass uns gehen, Carrie.“
Bevor ich begriff, was ich tat, hatte ich mir den Exekutionsbefehl geschnappt.
„Schön. Wenn ihn jemand töten muss, kann ich das auch machen.“
„Sie gehören nicht zur Bewegung.“ Breton ließ sich zu keiner weiteren Erklärung herab.
„Er ist mein Schöpfer!“ Ich schlug meine Faust auf den Tisch. Es hatte keinen Sinn, diesen Umstand weiter geheim zu halten, wenn er sowieso getötet wurde.
Der General sah Max an. Ein Ausdruck irgendwo zwischen Ärger und Heiterkeit zog über sein Gesicht. „Harrison? Sie haben mir doch erzählt, dass sie von Simon Seymour erzeugt wurde.“
„Das bin ich!“ In meinem Zorn hatte ich vergessen, welchen Ärger Max für sein Mitwissen und sein Verschweigen von meiner Wiederbelebung durch Nathan bekommen konnte. „Cyrus hat versucht, mich umzubringen. Nathan gab mir sein Blut, um mich zu retten. Aber Max wusste nichts davon.“
„Ist das wahr, Harrison?“ Breton fixierte Max wie eine giftige Schlange ihre nächste Mahlzeit.
Max nickte und warf mir einen strengen Blick zu. „Ich hegte keinerlei Argwohn. Vielleicht sollten Sie Dr. Ames wirklich auf Nathan ansetzen. Sie weiß am besten, wo sie ihn findet.“
Der General schüttelte den Kopf. „Wir können keinemVampir, der nicht in der Bewegung ist, so einen Job anvertrauen. Erst recht nicht, wenn es sich um ihren Erschaffer handelt. Sie kennen den Schmerz, den das verursacht, genauso gut wie ich. Sie sieht nicht aus, als ob sie das ertragen könnte.“
„Es tut mir leid, Carrie.“ Max nahm meine Hand und drückte sie.
So durfte es nicht enden. Mein Verstand raste. Nathan hatte mich ein wenig ausgebildet, aber ich war kein Gegner für einen Berufskiller. Obendrein hatte ich keine Ahnung, wo ich Nathan finden konnte und ob ich ihn rechtzeitig fand. Nach allem, was ich wusste, musste in dieser Lage ein anderer Killer auf ihn angesetzt werden.
„Dann lasst es Max machen“, platzte ich heraus.
Max schrak hoch, als sei er in einem unbekannten Zimmer geweckt worden. „Was?“
„Bitte, General.“ Ich umklammerte die Lehne des Sessels, bis meine Knöchel weiß wurden. Ich musste ihn herumkriegen! „Max und Nathan waren Freunde. Ich vertraue ihm, dass er den Job gut erledigt. Ich weiß, dass er Nathan nicht leiden lässt.“
„Ihr Vertrauen in Harrison betrifft mich nicht.“ Bretons harter britischer Akzent ließ seinen Kommentar noch kälter klingen. Er atmete tief durch und runzelte die Stirn. Als er ausatmete, erhellten sich seine Züge. „Also schön, Harrison. Morgen Abend sind Sie auf dem Rückflug. Aber die da halten Sie in einem Radius von mindestens zehn Kilometern vom Abschussort fern. Habe ich mich verständlich gemacht?“
„Absolut.“ Max nahm den Exekutionsbefehl, faltete ihn und steckte ihn in die Tasche seiner abgetragenen Lederjacke.
„Gut. Ich gehe davon aus, dass Sie beide den Weg alleinhinausfinden.“ Breton hielt Max die Bilder hin, aber ich nahm sie.
Wir waren fast an der Tür, als der General noch etwas sagte. „Harrison, wenn Sie bei der Erfüllung Ihrer Pflicht gegenüber der Bewegung versagen, schicke ich jemanden, der das nicht tut.“
Betäubt folgte ich Max in den Flur. „Tu es nicht“, sagte ich tonlos, nachdem die Tür hinter uns geschlossen war.
Max packte meine Schultern und drehte mich zu sich um. Seine Finger gruben sich schmerzhaft in mein Fleisch, und ich protestierte mit
Weitere Kostenlose Bücher