Besessene
Terrassentür auf, lief ohne Mantel auf die Wiese und bestaunte die Schönheit der Schneeflocken, die auf meine Schultern, meine Haare und auf mein Gesicht fielen. Ich warf den Kopf in den Nacken, wirbelte im Garten umher und rieb mir die Schneeflocken in die Haut. Ich war die Ballerina, der entflogene Ballon, das Blatt im Wind, das auf einer weißen Decke kreiste und seine Pirouetten drehte. Ich hörte die anderen lachen und meinen Namen rufen, aber ich drehte mich immer weiter, bis ich am Ende des Gartens vor einer Gruppe Nadelbäume anhielt. Ich war so nass und glitschig wie ein aus dem Fluss geschnellter Fisch, als zwei meiner Freunde mich schließlich ins Haus zurückbugsierten. Nat warf mir ein Handtuch zu und ich rieb mir Hals und Arme trocken, die von der beißenden Kälte kribbelten.
»Der Schnee in deinem Haar sieht wie Konfetti aus«, flüsterte mir Merlin ins Ohr und ich spürte, wie seine Hand über meinen bloßen Rücken strich. Da wusste ich, dass dies meine zweite Chance war und die Nacht, die ich mirimmer erträumt hatte. Heute Nacht glänzte ich und konnte nichts Falsches tun, heute Nacht war ich nicht die unscheinbare Katy. Und dafür gab es nur eine einzige Erklärung – Genevieve hatte losgelassen. So selbstbewusst und frei konnte ich mich nur fühlen, wenn ihr Einfluss schwächer geworden war. Sie musste sich von mir verabschiedet haben. Merlin starrte mich an, als sähe er mich zum ersten Mal, und ich schenkte ihm mein strahlendstes Lächeln, bevor ich zu den anderen zurückging.
Meine Stimmung riss die anderen mit. Gemeinsam räumten wir den Tisch ab und die Tanzfläche wurde eröffnet. Wir tauschten Partner, tanzten Charleston, Tango und Foxtrott und beim Walzer hielt mich Merlin in den Armen.
»Stell dir mal vor, wir hätten damals schon gelebt, Katy«, sagte er. Er beugte mich mit dem Oberkörper nach hinten und fing mich auf, bevor ich den Boden berühren konnte. »Hättest du mich eines Blickes gewürdigt … in deinem prächtigen Haus?«
Ich versuchte, es spielerisch anzugehen. »Vermutlich wärst eher du der Gutsherrensohn gewesen und ich die Dienstmagd, die dir die silbernen Schnallen auf den Stiefeln putzt.«
»Klingt gut«, sagte Merlin grinsend, »dann hätte ich mir das Dienstmädchen gefügig machen können.«
Ich machte einen spöttischen Hofknicks, obwohl ich ganz genau wusste, was im Gange war und dass ich ihn dazu ermutigte.
»Hast du mir auch ganz bestimmt verziehen?«, fragte er, jetzt plötzlich wieder ernsthaft.
»Da war nichts zu verzeihen.«
»Und jetzt?«
»Jetzt tanzen wir zusammen«, scherzte ich.
»Und jetzt, Katy?«, sagte er drängend.
Merlin blieb mitten im Tanz stehen, nahm mich an der Hand und führte mich hinaus in Hannahs Diele. Ich hatte seine Frage noch immer nicht beantwortet und sein Gesicht war jetzt ganz nah vor meinem. Ich entzog mich nicht und er begann, sich sanft an meinem Hals hinaufzuküssen, bis er mein Ohrläppchen erreichte. Es kam mir wie ein Traum vor, hier mit ihm zu sein, und ich schob alles andere weit von mir. Gleich würde er meinen Mund erreichen und es würde sein, als hätten wir uns nie getrennt. Das Beste aber daran war, dass Genevieve es verdient hatte, ohne jeden Zweifel. Das hier war meine ultimative Rache.
Da sah ich plötzlich mein Gesicht in einem kleinen Spiegel, der neben dem Garderobenständer hing, und schreckte zurück, weil ich so hart und grausam darin aussah und meine Augen böse funkelten. Ich erkannte mich selbst kaum wieder und die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: Was sagte es über Merlin aus, wenn er sich hinter Genevieves Rücken so leichtfertig verhielt? Und was über mich? Wütend auf mich selbst riss ich mich von ihm los und zupfte mein Kleid zurecht. Genevieve würde es ja recht geschehen, aber wenn ich ihr heimzahlen wollte, was sie mir angetan hatte, musste ich mich auf ihr Niveau begeben, und das kam nicht infrage.
»Genevieve und ich sind nicht austauschbar, Merlin«, fuhr ich ihn an. »Du kannst nicht einfach eine von uns beiden abschleppen und die andere fallen lassen.«
Merlin griff sich an die Stirn. »Ich weiß wirklich nicht, was über mich gekommen ist … es tut mir leid.«
»Ist okay, aber wir können nicht so tun, als wäre nichts gewesen, und du bist jetzt mit Genevieve zusammen.«
Wir konnten uns beide nicht in die Augen sehen.
»Ich hätte fast vergessen, dass du nicht mehr zu mir gehörst«, murmelte er und ging weg.
Kapitel 36
E in Taxi setzte mich direkt
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