Besessene
streicheln. Die Krallen ihrer Vorderpfoten berührten ganz leicht meine Hand und zogen sich dann wieder zurück. Ich wusste, was das bedeutete – Gemma gab mir zu verstehen, dass sie der Boss war und dass sie mich ohne jeden Skrupel kratzen würde, wenn ihr danach war, da sie kein Gewissen hatte. Verächtlich öffnete sie die schönen glänzenden Augen, sah mich zornig an und schloss sie wieder. Ich musste mich zwingen, nicht an ein anderes Paar grüne Augen zu denken, das ebenso irritierend war.
Mum kam mit dem Muffinpaket aus der Küche und spießte einen mit einer uralten Toastgabel auf. Bald schon erfüllte ein wunderbarer Duft den Raum. Ich fühlte mich Mum jetzt etwas näher, trotzdem war ich leicht frustriert. Sie hatte Ängste, Bedauern und schwarze Wolken angedeutet, die sie belasteten, mir aber nicht gesagt, aus welchem Grund. Ein Teil von mir hatte immer Angst, dass ihre Depression genetisch war und auch ich irgendwann dieWelt mit ihren Augen sehen würde. In einem Punkt hatte sie allerdings recht – ich musste Merlin vertrauen und mich in Sachen Genevieve entspannen. Merlin fand, dass wir vieles gemeinsam hatten, und vielleicht stimmte das ja. Mum plapperte vor sich hin, während wir aßen und uns die warme Butter übers Kinn lief, und ich fragte mich, was wohl in der Vergangenheit geschehen sein mochte, das sie vom Leben abgebracht hatte.
Der Traum suchte mich immer wieder heim – mit teils mir schon vertrauten, teils veränderten Elementen. In dieser Nacht war ich gezwungen, die ins Unendliche führenden Stufen zu erklimmen, aber als ich schließlich oben ankam, war Genevieve nicht da, ich hielt verzweifelt nach ihr Ausschau und überlegte, wo sie sich versteckt haben könnte. Langsam schob ich mich näher an den Frisiertisch heran und sah im Spiegel ihr Gesicht, in dem ihre Augen stark vergrößert schienen. Sie winkte mir zu und ich konnte nicht widerstehen. Als ich mit meinen Fingern das Spiegelglas berührte, erschienen darauf kreisförmige Wellen, breiteten sich aus und ich wurde in einen tiefen dunklen Teich hineingezogen. Ich schrie und flehte Genevieve an, mir zu helfen, aber sie beobachtete mich nur, als sei sie fasziniert vom Grauen, und erst, als die letzte Blase aus meinem Mund wich, erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
Kapitel 8
V orsatz Nummer 1: Genevieve hatte eine Chance verdient und ich konnte es mir leisten, großzügig zu sein.
Vorsatz Nummer 2: Ich würde darauf achten, meine Eifersucht im Zaum zu halten.
Vorsatz Nummer 3: Merlin war außergewöhnlich und nichts konnte daran etwas ändern.
So dachte ich, als ich am Montagmorgen entschlossenen Schrittes zum College ging. Eifersucht war in der Tat eine destruktive Emotion, über die ich hinauswachsen musste. Ich ging schneller, weil ich Nat und Hannah bei der Fußgängerüberquerung an der Ecke der Hauptstraße warten sah. Der Wind war ziemlich stürmisch und Hannah hielt krampfhaft ihren Glockenrock fest, was mich zum Lachen brachte. Ich grinste Nat zu, gefasst auf ihre stichelnden Kommentare über Merlin, aber sie schien gerade aus keinerlei ersichtlichem Grund einen Betonpfeiler zu betrachten und konnte mir kaum in die Augen sehen. Als sie es dann doch tat, lag ein kleinlauter Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Da ist was, das du wissen solltest …«
Ich spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, und wartete, bis sie damit herausrückte.
»Wir … hatten es echt nicht vor«, stammelte sie, »aber alsdu und Merlin gegangen wart, kam sie zu uns herüber und fing an, sich mit uns zu unterhalten. Und irgendwann haben wir ihr dann das ganze College gezeigt.«
Hannah mischte sich jetzt auch ein. »Es war komisch. Wir kamen einfach nicht los von ihr und sie wiederholte immer wieder, wie furchtbar es für sie ist, hier niemanden zu kennen und keinen zu haben, mit dem sie zum Lunch gehen kann.«
Die Frage, von wem die Rede war, erübrigte sich, es war zu offensichtlich. »Dann hat Genevieve sich also selbst zum Mittagessen mit uns eingeladen?«
Nat räusperte sich nervös. »Sie fand dich wohl … etwas abweisend und fragt sich nun, ob sie irgendetwas falsch gemacht hat. Das würde sie gerne aus der Welt schaffen.«
Ich legte eine Hand auf meine Stirn, weil sich direkt zwischen den Augen Kopfschmerzen breitmachten. Genevieve hatte natürlich recht. Ich hatte mich nicht gerade so verhalten, dass sie sich wohlfühlte, und sie hatte zweifellos meine feindselige Körperhaltung wahrgenommen.
»Was hast du
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