Besessene
Sie kam in die Küche, umarmte mich und plauderte drauflos, während sie ihre Einkäufe verstaute. Luke deutete hinter ihrem Rücken auf die Tür.
»Mum, ich helfe Kat mit … einer Englischhausaufgabe. Wir gehen zu mir nach oben, weil wir dafür meinen Computer brauchen.«
»Alles klar«, antwortete Lukes Mum und räumte Käse und Milch in den Kühlschrank.
»Gut, dass du kein richtiges Mädchen bist«, scherzte er, als er die Treppe hochstieg, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. »Mum schätzt es gar nicht, wenn Laura mit auf mein Zimmer kommt.«
Die Bemerkung mit dem ›richtigen Mädchen‹ nahm ich Luke nicht weiter übel; auch für mich war er immer noch der chaotische Junge mit dem blonden Haarschopf, der Modellflugzeuge baute und Plastiksoldaten anmalte. Laura war jetzt schon seit drei Jahren mit Luke zusammen, aber seine Mum behandelte die beiden immer noch wie Teenager, die einen Anstandswauwau brauchten. Ich versuchte, mich beeindruckt von seinem Zimmer zu zeigen, denn der schäbige Teppich war mittlerweile gegen einen hellen Laminatboden ausgetauscht worden und der Kiefernholzschrank gegen einen eleganten Einbauschrank mit Schiebetüren. Außerdem hatte Luke jetzt ein Doppelbett mit einem Kopfteil aus Leder, die Wände waren ebenmäßig und weiß, weit und breit keine Poster mehr. Aber auf dem Boden lagen immer noch schmutzige Socken herum, der Schreibtisch war übersät mit Zetteln und es roch genauso wie damals, als er vierzehn gewesen war.
Luke nahm einen Marker in die Hand und stellte sich vor ein Whiteboard an einer der Wände. Ich kam mir vor wie in einem Krimi und spürte, wie mir ein kleiner Schauer über den Rücken lief. Luke räusperte sich bedeutungsvoll.
»Okay, ich hab mal einen Beitrag über das Stalken gemacht und mir so einiges an psychologischem Kram angeeignet. Ich werde dir jetzt mal ein paar Varianten vorstellen.«
»Okay.«
»Die erste Möglichkeit ist, dass du etwas besitzt, das sie haben will, was dich zu einer Bedrohung für sie macht.«
»Sie will alles haben«, sagte ich seufzend.
Luke fing an zu schreiben. »Außerdem hat sie den Drang, dich leiden zu sehen. Eine zwar absurde, aber gezielte Racheaktion also.«
»So viel ist sicher«, sagte ich düster.
»Was könnte sie denn gegen dich haben?«
»Nichts«, sagte ich klagend. »Ich habe ihr nichts getan … außer … dass ich ihren Blick erwidert habe.«
»Ihren Blick erwidert?«
Ich dachte an jenen Tag zurück und spürte sofort wieder die Sonne, die mir ins Gesicht brannte, und ihre Augen, die sich in mich hineinbohrten. »Ich saß in einem Bus, sie in einem anderen und sie starrte mich einfach an … total intensiv. Da hat alles angefangen.«
»Aber so verhält man sich doch nicht, nur weil man einmal ein Gesicht durch ein Fenster gesehen hat.«
»
Sie schon
.«
Luke kratzte sich am Kinn. »Hm. Sie hat keine Mühe gescheut, um an Informationen über dich heranzukommen. Das ist ihr offenbar sehr wichtig, denn ihr gibt es die Oberhand und dich macht es verletzlich. Es beweist, dass ihre Kampagne sorgfältig durchdacht ist und sie Zeit und Aufwand gekostet hat.«
»Ein sehr ausgeprägtes Sozialleben scheint sie jedenfalls nicht zu haben«, erwiderte ich sarkastisch.
»In jedem Stalker steckt das Verlangen nach Macht. Er will spüren, dass er Kontrolle über dich hat.«
»Und manipulieren wollen sie einen auch. Genevieve spielt ja mit mir.«
»Sehr gut«, lobte mich Luke und absurderweise freute ich mich darüber.
Er zeichnete eine Reihe von Pfeilen auf die Tafel und verband alle Stichpunkte zu einem Kreis. »All das führt mich zurück zu meiner Annahme, dass sie … Genevieve … dich von irgendwoher kennt und …«
»Unmöglich«, unterbrach ich ihn.
»Oder«, fuhr er fort, »dich anvisiert hat, weil sie
glaubt,
dass sich zwischen euch beiden mal etwas ereignet hat … eine Verwechslung also.«
»Sie kann mich nicht mit irgendjemand anderem verwechselt haben«, sagte ich langsam. »Dafür weiß sie zu viel Persönliches über mich.«
Luke setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm einen Briefbeschwerer aus Glas in die Hand und drehte ihn um. »Vielleicht ist sie auch nur eine Fantastin, die sich die ganze Sache eingebildet hat und es ohne jeden Grund auf dich abgesehen hat.«
»Das wäre schlimm«, antwortete ich. »Wenn sie nämlich darauf fixiert ist, dann kann ich reden, soviel ich will, und es wird nichts ändern.«
»Willst du meinen Rat hören, Kat?«
»Natürlich
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