Besessene
mir eine Seite an mir gezeigt, die ich bisher nicht kannte.«
»Was denn für eine Seite?«
»Die hasserfüllte«, antwortete ich nüchtern. Luke schwieg und ich schlug mir frustiert auf die Schenkel. »Ich sehe überall idiotische Zusammenhänge … jetzt zieh ich auch noch meine Mutter in dieses üble Spiel mit rein.«
»Du musst ganz einfach stark bleiben, Kat, und dich auf dich selbst besinnen. Sie will doch nur, dass du zusammenbrichst.«
Ich rappelte mich auf. »Komm, lass uns gehen.«
Als ich mich umdrehte, hielt Luke ein Kästchen in der Hand. Es war aus dunklem Holz mit eingelegter Schnitzarbeit in etwas hellerem Ton. Bewundernd sagte er: »Die Dinger sind total gefragt.«
»Wo hast du das gefunden?«
»Es lag neben dem Wassertank. Ich hatte da was glänzen sehen.«
»Ich kann mich an das Kästchen gut erinnern«, sagte ich flüsternd. Ich musste an meinen Granddad denken und wie er es für mich geöffnet und immer so getan hatte, als wäre es eine kleine Seemannskiste, in der sich ein Piratenschatz verbarg.
»Wem hat es denn gehört?«
»Meinem Granddad. Das Futter muss aus roter Seide sein.«
Luke öffnete das Kästchen. Das noch immer leuchtend rote Futter wurde sichtbar und ich atmete den mir so vertrauten Geruch von Zigarren ein. »Er hat mich immer damit gepiesackt, dass er mir das darin verborgene Geheimnis erst verraten würde, wenn ich das richtige Alter dafür hätte.«
»Um was für ein Geheimnis ging es da?«
»Um das Geheimnis des verborgenen Schatzes.«
»Und wo war der versteckt?«
»Das ist es ja, das habe ich nie rausgekriegt, wahrscheinlich hatte er es nur erfunden.«
Luke drehte und wendete das Kästchen, dann runzelte er die Stirn und meinte ungeduldig: »Versuch doch du es mal.«
Ich legte einen Finger um den Rand des Kästchens, einenanderen darunter und schüttelte es ärgerlich. »Ich hab schon jahrelang versucht, den Mechanismus rauszukriegen.«
Luke lachte etwas zynisch. »Bestimmt kein falscher Boden?«
»Nein.«
»Es ist sehr aufwendig gemacht«, sagte er nachdenklich. »Wenn du genau hinschaust, dann siehst du, dass es aus zwei geschnitzten Einzelteilen besteht, die wie eine Schwalbenschwanzverbindung ineinanderpassen.«
Wahrscheinlich sah ich Luke mit großen Augen an, denn ich verstand kein Wort. Er nahm mir das Kästchen aus der Hand und drückte mit geschickten Fingern auf verschiedene Punkte. Da er das ewig zu betreiben schien, verlor ich fast schon das Interesse, als es mit einem Mal einen Ruck gab und ein kleiner Hohlraum aus dem Kasten sprang.
»Eine Schublade«, sagte er grinsend. »Ich liebe diese Art Geduldsspiel. Wenn man die zwei aufeinander ausgerichteten Punkte nicht findet, dann funktioniert das Ganze nicht.«
Luke überreichte mir die kleine Lade so behutsam, als ob sie wirklich etwas Kostbares enthielte, obwohl ich selber nur gefaltetes Papier darin entdecken konnte. Ich war mir sicher, dass ich etwas Bedeutsames in der Hand hielt, aber ich wollte es nicht hier ansehen. So traten wir den Rückzug in Lukes Haushälfte an, erleichtert über diesen kleinen Aufschub, denn meine Nerven lagen blank und ich spürte, wie sich mein Bauch verkrampfte. Luke reichte mir ein Tuch, damit ich meine Hände säubern konnte, und mir fiel auf, wie rußverschmiert er war, was in Kontrast zu seinen blonden Haaren besonders lustig aussah. Ich lächeltenervös und begann mit zitternden Fingern, den ersten Bogen auseinanderzufalten.
»Es ist … meine Geburtsurkunde«, flüsterte ich. Ich überlegte, wieso Mum sie wohl hier oben aufbewahrte, und kam dann auf den Grund, der mir am naheliegendsten schien: mein Dad! Schnell sah ich auf die Spalte ›Vater‹. Das Blut schoss mir in den Kopf, denn da stand nichts. Damit Luke nichts bemerkte, tat ich so, als würde ich etwas anderes anschauen. Da fiel mir ein kleines rundes Band aus durchsichtigem Kunststoff auf, das noch zusammengerollt in einer Ecke der kleinen Schublade lag. Ich nahm es in die Hand und hielt es gegen das Licht.
»Das ist ein Babyarmband«, klärte Luke mich auf. »Da müsste eigentlich ein Name draufstehen.«
»Baby Rivers«, las ich, »und außerdem sind da zwei sechsstellige Zahlen.«
»Das sind Krankenhausnummern«, gab Luke schnell zur Antwort. »Ist sonst noch irgendwas da drin?«
»Nein, nur ein Foto.« Ich drehte es um und sah einen verblichenen Schriftzug, der nicht mehr zu entziffern war. »Ich glaube, Mum hat nur das Unvermeidliche hinausgeschoben. Ich könnte ja mit achtzehn
Weitere Kostenlose Bücher