Besitze mich! (Band 1)
bot ihm ausreichend romantischen Nährboden. Er widmete sich einem gewissermaßen banalen, aber sehr lebendigen Forschungsobjekt: einer Frau voller Lust und Verlangen. Einer Frau, die in vollen Zügen genießt. Er hatte alles dafür gegeben. Er kannte sich aus. Er kontrollierte das Verlangen, das in mir hochstieg, und schien den genauen Augenblick bestimmen zu können, in dem ich mich nicht mehr zurückziehen konnte. Mit der Präzision eines Schriftstellers, darüber war ich mir im Klaren, kontrollierte Adrien meine Lust und meinen Höhepunkt. Er besaß Waffen, die andere noch nicht einmal kannten. Er beschleunigte die Bewegung seiner Zunge auf meinem Geschlecht. Mein Orgasmus zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen. Es war eines der wenigen Male, dass er an diesem Tag lächelte. Mir kam der Gedanke in den Sinn, dass Adrien sogar beim Signieren seiner Bücher nur wenig gelächelt hatte. Adrien war noch nie so sanft, so anziehend wie in dem Moment, als er mich zum Höhepunkt brachte. Es war derselbe Mann, den ich einige Stunden zuvor mit dieser rothaarigen Frau so gewalttätig, fast furchteinflößend erlebt habe. Doch dieses Erlebnis schien schon Jahrhunderte zurück zu liegen.
„Das war es, was ich vergessen hatte, Alice. Mein Taxi wartet auf mich, ich lasse Sie jetzt allein. Fabien hat mir Ihre Nummer gegeben. Sie werden schon bald wieder von mir hören. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werden Sie dieses Porträt geschrieben haben. Schlafen Sie gut, Alice.“
6. Das Porträt von Alice
Ich zog mich schnell wieder an, um nicht allein in der Buchhandlung zu bleiben. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Gedanken, nach Hause zu gehen und zu schlafen, und dem, das lebendige Porträt dieses Mannes zu schreiben, von dem ich nicht sicher war, dass ich ihn wiedersehen würde, und der mich schon beherrschte. Die Intensität meines Orgasmus erweckte in mir ein Schwindelgefühl, das leicht in Melancholie umschlagen konnte, wenn ich nicht schnell eine Entscheidung treffen würde. Sich plötzlich allein, ohne Adrien, wiederzufinden, könnte mich erstarren lassen, das wusste ich. Also entschloss ich mich zu bleiben, um zu schreiben, während die Nacht sich über Le Marais legte, wo die letzten Nachtschwärmer an diesem Frühlingsabend in der Rue Sainte-Croix-de-la-Bretonnerie flanierten. Von den Geräuschen der Nacht beflügelt, setzte ich mich vor Fabiens Computer und schrieb in einem Zug das Porträt des Autors von
Belleville im April
. Als Titel wählte ich:
Die magischen Nächte von „Belleville im April“. Ein Treffen mit Adrien Rousseau
Ich fühlte mich inspiriert und innerhalb weniger Stunden hatte ich meinen Text fertiggestellt. Zum ersten Mal schrieb ich ohne Furcht, ohne Angst zu versagen. Die Sätze reihten sich mit extremer Leichtigkeit aneinander, die Worte kamen mir wie selbstverständlich in den Sinn. Ich hatte das Porträt bereits im Kopf, in mir. Es schien, als ob ich völlig mühelos einen in meinem Geist existierenden Text hervorbrachte. Adrien hatte einen geheimnisvollen Teil meines Wesens erreicht und schien die Knoten gelöst zu haben, die mich ansonsten so blockierten, insbesondere wenn es um meine Arbeit als Journalistin ging. Ich verspürte beim Schreiben ein unglaubliches Vergnügen, zwischen den Mauern der Buchhandlung und in einem Zustand der Ermüdung, den ich nicht mehr ermessen konnte. Mein Porträt war direkt, rhythmisch. Ich wusste, dass sich Tausende von Frauen dafür interessieren würden, die von einem intimen Treffen mit dem derzeit angesagtesten Autor träumten. Und es ist mir gelungen, dieses Andere, auch Schaurige bei Adrien einfangen zu können. Im Gegensatz zu allem, was man über ihn lesen konnte (überschwänglich, wenn das Porträt von einer Frau geschrieben wurde, voller Neid, wenn es der Feder eines Mannes entsprang), hatte ich es geschafft, die dunkelsten Facetten der Persönlichkeit von Adrien darzustellen: ein Mann, der verzaubert, ohne Lächeln, aber mit einer Gewalttätigkeit, die er nicht verbergen konnte, einer Gemächlichkeit vermischt mit einem Kontrollzwang, den man in der Hauptrolle des Liebhabers in seinem Roman
Belleville im April
wiederfand.
Es war bereits 3 Uhr morgens, als ich auf „Speichern“ klickte und den Computerbildschirm ausschaltete. Auf demselben Bildschirm hatte ich nur wenige Stunden zuvor wie in einer schlechten Vorahnung die Warnung von Fabien gelesen. Ich versuchte, nicht mehr daran zu denken, aber ich wusste, dass Fabien recht
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