Besser so als anders
ihr Kleid zu schlüpfen, als ihr Blick zum ersten Mal auf die Hotelzimmerwände fiel. Sie wusste genau, welche Farbtöne das waren: verwaschenes Mokka, steinweiße, abgesetzte Ränder, die Deckenfarbe in Elfenbein. Bei Waltons wurde Elfenbein für die Büros verwendet. Als sie ins Bad ging, um sich die Haare zu machen, fragte sie sich, welche Farben die Innenausstatter des Robert Johnson House wohl für ihre Geschäftsräume gewählt hatten.
Als Vicki sich einigermaßen vorzeigbar fühlte, warf sie einen letzten sehnsüchtigen Blick auf Geliebte Audrina , das auf dem Bett lag, und steckte es dann entschlossen in ihre Handtasche. Sie ging in die Lobby, schloss die Tür hinter sich und fluchte leise, als sie feststellte, dass sie den Zimmerschlüssel innen hatte stecken lassen. Sie schüttete den Inhalt ihrer Tasche auf den Boden, nur um sich noch einmal zu vergewissern. Kein Schlüssel. Sie würde sich unten einen Ersatz besorgen müssen, wenn sie abends zurückkam. Vorsichtig machte Vicki auf ihren ausgesprochen schicken schwarzen High Heels ein paar wackelige Schritte in Richtung Hotellobby, als sie plötzlich eine ihr bekannte männliche Stimme hinter sich hörte.
Rob
R ob öffnete den Plastikbeutel und fischte eine kleine weiße Pille heraus. Er war sich nicht sicher, welche Wirkung sie in Verbindung mit Alkohol haben würde, doch dann sagte er sich, dass ihm schlimmstenfalls ein wenig übel werden könnte, und das war er bereit zu riskieren. Hannahs Anrufe von der Hochzeit hatten ihn ziemlich in Aufruhr versetzt, und er glaubte, dass die kleine weiße Pille vielleicht helfen würde.
Er legte das weiße Oval auf die Zunge und spülte es mit einem Schluck belgischen Biers herunter, das er sich am frühen Abend im Feinschmeckerladen am Ende der Straße gekauft hatte. Das Bier schmeckte wie Bud light, was wirklich lächerlich war, denn es hatte das Dreifache gekostet.
Rob blickte auf sein Handy, das auf dem schlampig montierten IKEA -Couchtisch lag. Seine gesamte Einrichtung schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Rob hasste Montageanleitungen, also schraubte er alles nach Gefühl zusammen. Oft merkte er erst danach, dass er nicht alle Nägel und Scharniere benutzt hatte, die in der Schachtel mitgeliefert worden waren. Der Beistelltisch neben dem Bett war erst vorige Woche unter der Last dreier schwerer Bücher zusammengekracht. Die beiden Bücherregale in seinem Wohnzimmer schwankten, wann immer er ein Buch hinzufügte. Er bewegte sich in seiner Wohnung nur ganz behutsam, weil er wusste, dass jeden Moment alles auseinanderbrechen konnte.
Rob hatte heute schon so viele Anrufe erhalten, dass er bereits meinte, ein Klingeln zu hören, obwohl gerade gar niemand anrief. Er ertappte sich dabei, dass er sein Mobiltelefon immer und immer wieder kontrollierte. Er überlegte, es auszuschalten, wagte es dann aber doch nicht und musste sich eingestehen, dass er ständig darauf lauerte, Hannahs Namen und ihre Nummer auf dem Display aufleuchten zu sehen. Er wollte die Anrufe zwar nicht unbedingt annehmen, doch es gefiel ihm, dass sie immer wieder den Kontakt mit ihm suchte.
Typisch Rob – süchtig danach, gebraucht zu werden, hatte Hannah immer gesagt.
So intensiv hatte Rob seit Jahren nicht an Hannah gedacht. Fast ein Jahrzehnt war seit den drei Jahren am Syracuse College vergangen, und während er seinem Leben in Austin nachging, fühlte es sich manchmal an, als habe er die Erinnerungen an jenen Lebensabschnitt nur erfunden. Oder, was es noch besser traf, als habe er alles in einer Fernsehsendung gesehen und die Erinnerungen daran zu seinen eigenen gemacht. Es schien unglaublich, dass er einmal im Staat New York gewohnt, dort studiert und schließlich das College abgebrochen hatte. Nur sein jetziges Leben schien Wirklichkeit zu sein.
Die meisten Leute wussten gar nicht, dass Rob am Syracuse University College gewesen war. Für seine Freunde in Austin war er lediglich der Typ, der in der Bibliothek der University of Texas arbeitete, um seinen Abschluss zum Nulltarif zu bekommen. Er war der Typ, der mühelos gute Noten erreichte und den drei seiner Englischlehrer für eine Promotion empfohlen hatten. In ein paar Monaten würde er sich an verschiedenen Graduate Schools bewerben, und in seiner Freizeit schrieb er Buchrezensionen für die alternative lokale Wochenzeitung.
Greifbare Nachweise für seine Zeit am Syracuse College waren lediglich sein Studienkredit und die unregelmäßigen Anrufe und Mails von Hannah,
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