Besser so als anders
Vicki so einen Aufstand daraus machten, alle sechs Monate ihr Zimmer neu zu streichen. Hannah hatte ihm erklärt, dass Vicki als zukünftige Innenausstatterin glaubte, jedes neue Semester müsse mit einem neuen Farbschema beginnen, aber Rob erschloss sich der Sinn des Ganzen nicht. Farbe war teuer, und der Geruch danach verflog niemals vollständig. Der chemische Mief in Hannahs Zimmer schien seine Gehirnzellen zu lähmen, vor allem im Frühling, wenn der Staat New York immer noch im Schnee versank und alle Fenster fest geschlossen blieben.
Rob hatte seine spätabendlichen Besuche in Hannahs Zimmer, die körperliche Intimität und das stundenlange Geplauder immer genossen, doch kurz nachdem sie die Wände zahnpastafarben angestrichen hatte, beschloss er, ihre heimlichen Treffen zu beenden. Mitte Februar wusste Rob bereits, wie das Jahr für ihn enden würde, dass er das College abbrechen und nach Austin gehen würde. Er plante, erst einmal ein paar Monate dort zu bleiben, bis ihm klar wäre, was er als Nächstes tun wollte. Er sagte sich, dass es das Beste wäre, sich lieber früher als zu spät von Hannah zu trennen. Zu viele Nächte hatte er mit ihr verbracht, sodass man kaum noch von Treffen, sondern fast schon von einer Beziehung sprechen konnte. Und so kam es, dass er am letzten Donnerstag des Monats, einem Wochentag, den er sonst fast immer mit Hannah verbrachte, einfach nicht erschien.
Im März darauf hatte Rob Hannah durch Alexis ersetzt, einem Mädchen aus seinem Anthropologiekurs. Sie kam aus Long Island und trug einen Nasenring. Alexis redete nicht viel und war nur an »richtigem Sex« interessiert. Bald schon hatte Hannah begriffen, dass sie einfach ausgetauschtworden war. Sie war Alexis auf einem Konzert von Robs Band begegnet und hatte so getan, als mache ihr das alles nichts aus. Rob gegenüber war sie kühler geworden, hatte ihn aber dennoch niemals zur Rede gestellt. Das überraschte ihn nicht. Sie hatten ja die stille Abmachung getroffen, dass außerhalb von Hannahs Wohnung niemand von ihren geheimen Treffen erfahren sollte. Erst an dem Tag, an dem alle ihre Sachen zusammenpackten und für die Semesterferien über den Sommer nach Hause fuhren, kreuzte Rob zum letzten Mal in Hannahs und Vickis Wohnung auf. Vor ihrer Schlafzimmerwand, deren Farbe aufgrund des billigen Anstrichs dieses Semester bereits abblätterte, eröffnete er ihr, dass er im Herbst nicht mehr ans College zurückkehren würde. Sie schrie ihn wegen seiner Noten und seiner Zukunftschancen an, doch so wie dabei ihre Hände zitterten und ihre Stimme bebte, wusste er, dass mehr dahintersteckte.
Sie verbrachten ein letztes freundschaftliches Wochenende miteinander. Tom, damals Robs einziger männlicher Freund, war gerade neu zu ihrer Clique gestoßen und hatte sie alle in sein Elternhaus in Cape Cod eingeladen. Eigentlich hätte es eine Abschiedsfeier für Rob werden sollen, doch Hannah nahm ihn die ganze Zeit über kaum zur Kenntnis. Auch Bee ging während jenes Wochenendes auf Distanz zu ihm und schien Hannah zu trösten, als habe sie die ganze Zeit über von der Affäre gewusst.
Während jenes Sommers, als er sich schließlich in seiner Wohnung in Austin eingerichtet hatte, erreichte ihn dann ein Brief von Hannah. Er war mit dem Computer geschrieben, vermutlich, so dachte Rob, damit sie die Rechtschreibprüfung darüber laufen lassen konnte. Er hatte auf eine Entschuldigung für ihr abweisendes Verhalten gehofft, war allerdings nicht sonderlich erstaunt, als er stattdessen eine ganze Liste von Anschuldigungen vorfand. Die meisten Sätze begannen mit: »Ich fühle mich wie« und endeten mit Worten wie »Vertrauen« oder »Verantwortungsgefühl«. Der Brief enthielt keine konkreten Forderungen, sondern machte lediglich ihrem Kummer Luft. Rob hatte nie darauf geantwortet.
Hannah hatte ihn schließlich zu Weihnachten angerufen. Den Brief erwähnte sie mit keinem Satz. Stattdessen erkundigte sie sich nach seinem Leben in Austin und erzählte ihm den neuesten Klatsch und Tratsch von ihren gemeinsamen Freunden. Sie gestand ihm, dass sie jetzt mit Tom zusammen war, und schien erleichtert, dass Rob sie beglückwünschte und offenbar nicht sauer war. Seitdem rief sie ihn ungefähr einmal im Jahr an und schickte ihm ab und zu eine Mail. Sie hatte ihm alles über ihre berufliche Laufbahn in New York erzählt, und er hatte sich auf YouTube die Videos von ihren Filmprojekten angesehen. Nur einmal hatte er Hannah in den vergangenen fünf Jahren
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