Besser so als anders
einzige Problem war, dass auf der Box in Großbuchstaben »Vollspektrumslampe« stand. So wussten die Leute entweder gleich, was Vicki da transportierte, oder sie fragten nach, was noch schlimmer war.
»Was ist denn eine Vollspektrumslampe?«, erkundigte sich ein Arbeitskollege, als Vicki die Lampe zum ersten Mal auf eine Geschäftsreise mitnahm.
»Das ist etwas … für meinen Laptop«, stotterte Vicki, weil sie nicht auf die Frage vorbereitet gewesen war. »Die wird an meinem Laptop eingeklinkt. Für einen besseren Internetempfang.«
Der Kollege runzelte argwöhnisch die Stirn und ignorierte ihre Antwort. »Ist das nicht so eine Depressionslampe?«, fragte er weiter. »Der Bruder meiner Frau hat auch so eine.«
»Nein, ich sagte doch, die ist für meinen Computer.«
»Hmm«, brummte er daraufhin ungläubig.
Kurz vor ihrer zweiten Reise mit der Lampe fiel Vicki der Gitarrenkoffer ein, der in ihrer Abstellkammer lagerte. Sie hatte die Gitarre während einer Reise nach Ithaca gekauft, als sie noch mit Rich, ihrem Freund vom College, zusammen war. Er spielte damals in einer Band und hatte ihr versprochen, dass sie bei ein oder zwei Songs mitmachen dürfe, wenn sie Gitarre spielen lerne – als handle es sich dabei um ein attraktives Angebot. Es fiel ihr schwer genug, ihre Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten, wenn Richs Band ihre selbst geschriebenen Songs zum Besten gab, in denen es fast ausschließlich um die Entjungferung von Frauen ging. Vicki hatte fünfzig Dollar für das Instrument hingeblättert und zu Rich gesagt, dass sie mit Hannah eine Konkurrenzband gründen würde, damit endlich wenigstens einer der Namen auf der Liste fiktiver Bandnamen zum Einsatz käme. Doch Hannah und sie hatten irgendwie immer Wichtigeres zu tun gehabt, sodass die Gitarre jahrelang ungenutzt im Schrank lag.
Doch jetzt kam der Koffer hervorragend zum Einsatz, denn wie sich herausstellte, hatte er genau die richtige Größe und verbarg die Lampe wunderbar unauffällig. Bisher hatte noch kein Arbeitskollege das Instrument sehen wollen. Und niemand wollte wissen, weshalb sie es mit auf Reisen nahm. Für alle ging Vicki einfach ihrem Hobby nach. Wenn ihre Arbeitskollegen gewusst hätten, dass sie nicht einmal wusste, wie man eine Gitarre richtig hielt!
Vicki hatte Hannah vor ein paar Wochen während eines Telefonats von der Lampe erzählt, damit sie vorbereitet war. Hannah hatte angerufen, weil sie wissen wollte, ob Vicki sich am Hochzeitswochenende ein Zimmer mit ihr teilen wollte, statt in separaten Zimmern in separaten Hotels zu schlafen.
Vicki hatte es im Gegensatz zu Hannah, deren Miete in New York praktisch ihr ganzes Einkommen auffraß, nicht nötig, sich mit irgendjemandem irgendwelche Kosten zu teilen, sie konnte fast ihren gesamten Lohn beiseitelegen. Ihre Firma bezahlte ihr ein anständiges Gehalt, mit dem man in Rochester gut leben konnte. Und da sie dauernd auf Geschäftsreisen war, hatte sie kaum Ausgaben. Die Kosten für Essen und Wagen wurden erstattet, und ihre Nebenkosten waren immer gering, weil sie kaum zu Hause war.
Sie sagte dennoch gleich zu, sich ein Zimmer mit Hannah zu teilen, und beschloss, die Kosten dafür allein zu übernehmen, damit ihre abgebrannte Freundin eine Sorge weniger hätte. Hannah hatte sowieso schon viel zu viel für das kostspielige Brautjungfernkleid und den zweiundfünfzig Dollar teuren BH ausgegeben, der, wie Hannah Vicki erklärte, für die Hochzeit unumgänglich war.
Vicki hatte Bedenken, sich mit einer anderen Person ein Hotelzimmer zu teilen, denn sie war inzwischen zu sehr an das Alleinereisen gewöhnt. Doch ihre Vorbehalte wurden durch die Freude, ihre Freundin Hannah endlich wiederzusehen, gedämpft. Mit Hannah konnte sie im Gegensatz zu all ihren Bekanntschaften in Rochester richtig lachen. Natürlich arbeiteten in ihrer Firma ein paar interessante Zwanzig- und Dreißigjährige, aber denen würde Vicki vermutlich niemals über den Weg laufen. Vicki war Innenausstatterin bei Waltons, einer nationalen Supermarktkette bekannt für erlesene Fertigprodukte, und verbrachte neunzig Prozent ihrer Zeit auf Außeneinsätzen. Sie besuchte Filialen rund um New York und Pennsylvania und stellte sicher, dass die Schilder in der Backwarenabteilung in der richtigen Höhe von der Decke hingen und die Wände der neuen Filialen im vorgeschriebenen Gelbton gestrichen waren. Sie sprach nur mit wenigen Menschen und auch dann erteilte sie vorwiegend Anweisungen bezüglich der räumlichen
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