Besser verhandeln - Das Trainingsbuch
seine Karten und lachte verstohlen. Er wird wohl nie reich werden, wenn er versucht, mit drei Karten ein Flush zusammenzubekommen. »Es wird wieder die ganze Nacht regnen«, sagte ich. »Ja«, antwortete Mike geistesabwesend. Er konzentrierte sich auf seine Karten.
Der Bankhalter rief über den Tisch: »Wie viele?« Mike sagte leise: »Zwei.«
Die beiden Karten flogen über den Tisch. Er griff hastig danach und sah sie an. Ein ärgerlicher Seufzer kam über seine Lippen. »Ich passe«, sagte er, warf seine Karten auf den Tisch und drehte sich zu mir um. Die andern deckten ihre Karten rasch auf, und der Bankhalter strich den Einsatz ein. »Willst du mitspielen, Danny?« fragte er freundlich.
»Nein, danke.« Ich schüttelte den Kopf, »ihr habt schon genug von meinem sauer verdienten Zaster eingestrichen!« Ich sah zu Mike hinunter. »Wie wär's mit einem freien Abend?« fragte ich. Mike grinste. »Bring für mich auch 'ne Puppe mit, dann wollen wir uns beide 'nen freien Abend machen.«
»Heut nicht, Mike. Ich möcht nach New York fahren. Heut abend ist ja doch nichts zu machen.«
Der Bankhalter begann mich aufzuziehen. »Sie sind wohl zu schwer zu bekommen, was, Danny? Aber paß nur gut auf mit diesen süßen Dingern, jede hat einen Bruder in der Armee.« Mike wurde sehr ernst. »Wozu willst du nach New York fahren?« Ich hatte ihm nie viel erzählt, aber er war ein kluger Bursche, er hatte erraten, daß dort etwas für mich schiefgegangen war. Er hatte mir nie eine Frage gestellt und würde auch jetzt keine Antwort erhalten. »Ach, 'nen kleinen Urlaub«, sagte ich ruhig. Mike sah auf die Tischplatte, denn die Karten wurden wieder verteilt. Er nahm sie und drehte jede einzelne behutsam um. Sechs. Neun. Sieben. Acht. As. Alle schwarz, alles Treffkarten! Seine Finger umklammerten das Blatt. Ich merkte, daß er mich völlig vergessen hatte.
»Was meinst du also, Mike?«
Ich stieß ihn in den Rücken. Er sah nicht mehr auf. »Okay«, sagte er geistesabwesend, »aber sei morgen um elf wieder zurück. In der Zeitung steht, daß es wieder aufklart, und dann fahren wir ab.«
Der Regen schlug noch immer gegen die Fensterscheiben des Zuges, als der schläfrige Schaffner durch das Abteil kam. Er tippte mir auf die Schulter. »Ihre Fahrkarte, bitte.« Ich gab sie ihm schweigend. »Abscheuliche Nacht«, sagte er und schüttelte den Kopf. Er hatte meine Fahrkarte gelocht und gab sie mir wieder zurück. »Ja«, antwortete ich und blickte ihm nach. Doch ich war durchaus nicht seiner Meinung. Ich fuhr ja nach Hause! Ich sah auf meine Armbanduhr. New York war nur noch fünfundfünfzig Minuten entfernt.
9
Ich stieg die Stufen der U-Bahn hinauf. Es nieselte, aber die Menschenmenge in der Delancey Street war ebenso dicht gedrängt wie eh und je. Regen störte sie nicht, sie hatten ja keinen andern Aufenthaltsort, und es war immer unterhaltend, die Delancey Street entlangzuschlendern, die Schaufenster zu betrachten und zu überlegen, was man sich kaufen würde, wenn man das Geld hätte. Während ich wartete, daß das Licht der Verkehrsampel wechselte, zündete ich mir eine Zigarette an. Die Schaufenster hatten sich nicht verändert, sie würden sich auch nie verändern. Das Herrenmodengeschäft pries noch immer seine Gelegenheitskäufe an; das Backwerk und die Brote in Ratners Schaufenster sahen noch genauso aus wie das letzte Mal, als ich noch hier war; der Würstchenstand an der Ecke der Essex Street war ebenso dicht umdrängt wie stets.
Der Verkehr stockte einige Sekunden, dann konnte ich die Straße überqueren. Es hatte sich nicht das geringste verändert. Dieselben Bettler verkauften ihre Bleistifte, dieselben Dirnen taxierten die Männer mit müden hoffnungslosen Augen. Doch ich hatte mich verändert. Ich erkannte das, als eine der Dirnen sich an mich drängte und mir im Vorbeigehen etwas zuflüsterte. Ich sah ihr lächelnd nach. Vor zwei Jahren wäre das nicht passiert, damals war ich noch ein grüner Junge.
Ich schlenderte die Straße weiter bis zum Zehn-Cent-Basar. Nellie würde dort sein, davon war ich fest überzeugt. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie wußte ich, daß sie dort sein würde. Die Uhr im Paramount-Fenster zeigte fünf Minuten vor neun. Noch fünf Minuten und das Geschäft würde schließen, und sie würde herauskommen.
Auf einmal hatte ich Angst, sie wiederzusehen. Ich fragte mich, ob sie sich nicht auch sehr verändert hatte. Vielleicht hatte sie mich vergessen, vielleicht einen andern Freund.
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