Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Besser verhandeln - Das Trainingsbuch

Titel: Besser verhandeln - Das Trainingsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
den schmerzlichen Ausdruck meiner Mutter, den bewußt grimmigen meines Vaters. Mein Denken, mein Fühlen erstarrten vor Schmerz. »Sie war die einzige, die mich wirklich zurückhaben wollte«, sagte ich rasch. Ich wartete einen Augenblick, ob sie etwas sagen würden. Aber sie schwiegen. Nellies Familie hatte unsre Heirat ebensowenig gutgeheißen wie meine, sie hatten sich aber wie menschliche Wesen betragen. Meine Familie hatte nichts zu sagen, keinen Glückwunsch für uns - nichts.
    Meine innere Qual schwand plötzlich und hinterließ nichts als eine dumpfe Kälte. Ich küßte Mama auf die Wange. Sie weinte. Dann küßte ich Mimi und blieb vor meinem Vater stehen. Sein Gesicht war bitter und maskenhaft. Ich ging an ihm vorbei, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung.
    Ich wälzte mich ruhelos in meinem Bett. Ich wußte, daß ich im Schlaf geweint hatte, aber jetzt war ich wach, und meine Augen waren trocken. Ich versuchte ganz still zu liegen, um Nellie nicht zu stören.
    Wir hatten uns schweigend in unserm kleinen Hotelzimmer ausgekleidet. Schließlich fragte ich mit einem etwas schiefen Lächeln: »Du hast doch die ganze Zeit gewußt, weshalb ich sie nicht besuchen wollte, nicht wahr?« Sie nickte stumm.
    »Und doch hast du mich gezwungen, hinzugehen«, sagte ich bitter. Sie legte ihre Hände auf meine Schulter und sah mir in die Augen. »Du hast gehen müssen, Danny«, sagte sie sehr ernst, »sonst hätte es vielleicht unser ganzes Leben lang zwischen uns gestanden. Du hast es selb st erleben müssen.«
    Ich wandte mich mit hängenden Schultern von ihr ab. »Nun,
    jetzt habe ich es ja erlebt!«
    Sie kam mir nach und klammerte sich an meinen Arm. »Jetzt ist's vorbei, und du kannst es vergessen.«
    »Vergessen!?« Ich begann zu lachen. Es gab Dinge, von denen sie nichts wußte. »Wie kann ich vergessen? All die Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben. unsre Hoffnungen, unsre Sorgen, das Gute und das Böse. Dir fällt's leicht, zu sagen: vergiß! Aber wie kann ich das? Das Gute und das Böse, wie kann ich's je vergessen? Kann man seine eigenen Eltern vergessen? Bedeutet Recht oder Unrecht mehr als das Fleisch und Blut, das uns miteinander verbindet?«
    »Nein, Danny, du verstehst mich nicht.« Ihre Stimme klang flehentlich. »Das ist's ja nicht, was du vergessen sollst. Dessen sollst du dich immer erinnern. Es ist der Schmerz, den du vergessen sollst, der dich in einen Fremden verwandeln würde. Der Schmerz, der dich hart, bitter und böse werden ließe, so wie du's jetzt bist!« Ich verstand sie nicht. »Wie kann ich das vergessen?« fragte ich hilflos. »Es gehört doch dazu.«
    »Nein, Danny, du irrst«, rief sie, drückte sich dicht an mich und küßte mich auf den Mund, »es ist etwas ganz anderes. Ich werde alles tun, damit du dich nur noch an das Gute erinnerst.« Ich starrte sie an. »Wie könnte das irgend jemandem gelingen?«
    »Mir wird es gelingen, ich weiß, daß ich es will und daß ich es kann«, flüsterte sie und sah mit tiefernsten Augen zu mir auf. »Meine Liebe für dich ist so groß, daß du die Liebe andrer Menschen nie entbehren wirst.«
    Da verstand ich sie. Ich ergriff ihre beiden Hände und preßte sie dankbar an meine Lippen. Sie hatte mir ein Versprechen gegeben, und ich wußte, daß sie es halten würde. Ich wußte, daß ich in den kommenden Tagen, ob gut oder böse, bei ihr Trost und Kraft finden und, was immer auch geschehen mag, nie wieder allein sein würde.
    Umzugstag 15. September 1936
    Die hölzernen Stufen knackten behaglich unter unsern Füßen, als wir die Treppe hinaufstiegen. Es war ein freundliches Geräusch, es war, als hätten die alten Stufen schon so manches neuvermählte Paar gleich uns willkommen geheißen. Die Koffer, die ich trug, waren leicht, denn wir brachten nicht viel Kleider mit. Später, wenn ich einen Job hatte und Geld verdiente, konnten wir uns ein paar Sachen kaufen. Jetzt mußten wir das ganze Geld, das wir zusammenkratzen konnten, für die Einrichtung unsrer neuen Wohnung verwenden. Nellie blieb vor einer Türe des vierten Stockwerkes stehen und blickte lächelnd über die Schulter. Sie hielt einen Schlüssel in der Hand.
    Auch ich lächelte. »Öffne ruhig, Baby, es ist wirklich unsre Tür!« Sie steckte den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn um. Die Türe öffnete sich langsam, doch Nellie blieb mit einem erwartungsvollen Blick auf der Schwelle stehen. Ich ließ die Koffer fallen, bückte mich und hob Nellie auf. Ich fühlte ihre Arme um meinen Hals,

Weitere Kostenlose Bücher