Besser verhandeln - Das Trainingsbuch
Podium vor der Thora stehend, blickte ich in den Raum. Drei alte Männer, die sich gleich mir auf dem Podium befanden, trugen kleine schwarze Jarmulkas. Meines war aus weißer Seide.
Die Gesichter der vor dem Podium Versammelten sahen erwartungsvoll zu mir herauf. Ich kannte die meisten, es waren meine Verwandten. Im Hintergrund der Synagoge stand ein kleiner Tisch mit allerlei Kuchen, Whisky- und Weinflaschen bedeckt, die im Dämmerlicht glänzten.
Mein Lehrer, Rabbi Herzog, nahm die Thora herunter und öffnete sie. Er winkte mir, an den Rand des Geländers zu treten, dann wandte er sich an die Gläubigen und begann auf Jiddisch: »In diesen unruhigen Zeiten«, sagte er mit dünner zitternder Stimme, »tut es einem Mann wohl, einen Knaben zu finden, der sich nicht schämt, ein Jude zu sein. Es tut einem auch wohl, einen solchen Knaben zu unterrichten. Es ist für mich eine Ehre, so einen Jungen für die Bar Mitzvah vorzubereiten, um ihn in die Gemeinschaft der jüdischen Männer aufzunehmen.« Er wandte sich mir feierlich zu. »Ich habe hier so einen Jungen.« Damit drehte er sich wieder den Gläubigen zu und setzte seine Rede fort.
Ich versuchte mir das Lachen zu verkneifen. Der alte Heuchler! Er hatte mich die ganze Zeit, in der er mich unterrichtete, immer nur angeschrien. Ich tauge zu nichts und werde nie zu etwas taugen; und die Bar Mitzvah werde ich auch nicht bestehen, weil ich zu dumm bin.
Einen Moment sah ich das Gesicht meiner Schwester, die zu ihm aufsah. Ihre Miene war konzentriert und andächtig. Dann lächelte sie mir mit einem Anflug von Stolz flüchtig zu, und ich erwiderte ihr Lächeln. Rabbi Herzog verstummte und wandte sich wieder mir zu. Ich trat langsam in die Mitte des Podiums und legte meine Hände auf die Thora. Dann räusperte ich mich nervös. Ich sah, wie Mama und Papa mir erwartungsvoll zunickten. Einen Moment lang war mein Gehirn wie ausgeleert, und Panik erfaßte mich. Ich hatte das komplizierte Ritual vergessen, das ich durch so viele Monate auswendig gelernt hatte.
Da hörte ich Rabbi Herzogs heiseres Flüstern: »Borochu ess.« Mit überströmender Dankbarkeit stürzte ich mich auf das Stichwort. »Borochu ess Adonai.« Jetzt war alles gut, und die übrigen Worte strömten mir wie von selbst zu. Stolz lächelnd blickte sich Mama im Kreise um. Jetzt begann ich die Feierlichkeit des Gebetes m empfinden. Ich wünschte mir, ich hätte der Bedeutung der hebräischen Worte, die ich so geläufig hersagte, mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Vage erinnerte ich mich, daß ich Gottes Beistand erflehte, um ein ehrenwerter Mann zu werden, der ein anständiges jüdisches Leben führt. Ein feierliches Gefühl von Verantwortungsbewußtsein erfüllte mich. Denn gestern war ich noch ein Knabe und heute bin ich bereits ein Mann. Mit diesem Ritual nahm ich auch die ganze Verantwortlichkeit auf mich. Ich beschwor vor meinen Verwandten und Freunden, meine Verpflichtungen als guter Jude stets und immerdar zu erfüllen. Ich hatte vorher nie viel darüber nachgedacht. Insgeheim wußte ich, daß ich mir nie gewünscht hätte, ein Jude zu sein. Ich erinnerte mich, wann ich zum erstenmal darüber nachgedacht hatte: es war damals, als mich Paul und sein kleiner Bruder in die Grube von Clarendon und Troy stießen, an dem Tag, an welchem ich Rexie gefunden hatte. Die Grube war längst ausgefüllt und darüber waren Häuser gebaut worden, aber ich konnte nie an dieser Stelle vorbeigehen, ohne mich zu erinnern. Mir fiel auch ein, daß ich Mama am nächsten Tag gefragt habe, ob wir nicht etwas anderes als Juden werden könnten. Was sie mir damals auch geantwortet hat, war jetzt nicht mehr wichtig. Denn jetzt wurde ich zum Juden geweiht. Die letzten Phrasen des Gebetes glitten über meine Lippen, und als ich zu den Andächtigen hinunterblickte, überkam mich ein Triumphgefühl. Mama weinte, und Papa schneuzte sich in ein großes weißes Taschentuch. Ich lächelte ihnen zu.
Rabbi Herzog legte jetzt den Gebetsmantel über meine Schultern, einen weißen Seidentalles mit dem blauen Davidstern, den Mama mir gekauft hatte. Er sprach noch einige Worte, dann war alles vorbei.
Ich lief die Stufen hinunter. Mama umarmte und küßte mich und wiederholte immer wieder meinen Namen. Ich wurde verlegen und wünschte mir sehnlich, daß sie mich endlich losließe. Jetzt war ich schließlich ein Mann, und sie benahm sich so, als wäre ich noch immer ein Kind. Papa schlug mir auf die Schulter. »Bist ein braver Junge, Danny.«
Er
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