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Besser verhandeln - Das Trainingsbuch

Titel: Besser verhandeln - Das Trainingsbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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der Ecke der Avenue A und der First Street. Dort nahm er den kleinen Beutel aus der Tasche und ließ ihn in den Behälter für Nachteinlagen gleiten. Hierauf drehte er sich um und ging die Avenue A hinauf.
    Ich blieb an der Ecke stehen und sah zu, wie er weiterging. Er interessierte mich jetzt nicht mehr.
    Ich zündete mir eine Zigarette an und begann nachzudenken. Als ich zum erstenmal in die Gegend gekommen war, erschien sie mir wie eine andre Welt. Und das war sie auch. Es war eine ganz andere Welt als die, die ich bisher gekannt hatte. Hier gab's nur ein Gesetz: kämpfen oder verhungern. Und dabei gab's keine Hemmungen.
    Die Kinder wußten das sogar noch besser als die Erwachsenen. Sie wurden dazu erzogen, für sich selbst zu sorgen sobald sie nur konnten, zu betteln und zu stehlen. Sie
    waren zäher, verbitterter und zynischer, als ich mir je hätte vorstellen können. Es gab nur eines, was mich davor bewahrte, von ihnen getötet zu werden: ich konnte besser boxen als sie und in vieler Beziehung auch rascher denken. Es hatte allerdings Zeit gekostet. Eine Weile hatten sie mich scheel angesehen, denn sie wurden aus mir nicht recht klug. Nach der Prügelei, die ich an dem Tag hatte, an dem Rexie überfahren worden war, hatten sie mir einen gewissen Respekt bezeugt. Aber erst als ich mich in der Konditorei herumzutreiben begann, lernte ich sie kennen.
    Von diesem Augenblick an riß ich die Führung an mich. Der Bursche, den ich verprügelt hatte, war ihr Bandenführer gewesen. Nun lungerten sie tatenlos herum. Spit und Solly hatten versucht, die Führung zu übernehmen, vermochten sich bei den andern aber nicht den nötigen Respekt zu verschaffen. Die einzige Sprache, die sie verstanden, war körperliche Überlegenheit. Eines Tages kam Spit zu mir, während ich eine Eiscreme verzehrte. Unter dem feinen Sprühregen seines Speichels lud er mich ein, mich der Bande anzuschließen. Ich hörte ihm zu, blieb aber auf meiner Hut; nach einiger Zeit schloß ich mich ihnen aber doch an. Es war zu einsam hier, ich mußte mich an etwas beteiligen, mich mit jemandem zusammentun. Da konnten es ebensogut die Burschen der Stanton Street sein.
    Die Hauptsache blieb aber stets das Geld. Armut war ein Pesthauch, der sich über der unteren East Side ausbreitete. Man sah sie überall, wohin man auch blickte, in den schmutzstarrenden Straßen, den zettelverklebten Schaufenstern, den schlechtgehaltenen Häusern. Min hörte die Armut überall heraus: aus dem kreischenden Geschrei der Hausierer von Rivington ebenso wie aus dem mühseligen Feilschen um jeden Penny in den Geschäften. Hast du einen Dollar in der Tasche, dann bist du ein König: wenn nicht, hältst du Ausschau nach jemandem, der einen besitzt und für dich bezahlt. Aber Könige leben nicht mehr auf der East Side, außer sie gehören jener Sorte an, die es versteht, auch aus der allgemeinen Armut noch genug Geld zu ziehen, um sich ein auskömmliches Leben zu sichern.
    Es gab ihrer genug - Buchmacher, Wucherer und kleine Verbrecher. Das waren die Smarten, die Helden. Sie wurden beneidet, diese Starken, denen es gelungen war zu überleben, und zwar gut zu überleben. Sie waren unsre Vorbilder.
    Sie waren das, was wir einmal werden wollten. Keine armen Schlucker, wie unsre Väter, die im Rinnstein lagen, weil sie es nicht verstanden, sich der Zeit anzupassen. Unsre Väter bildeten die Bevölkerung der unteren East Side. Es gab ihrer genug. Wir wollten nicht so werden wie sie, wenn wir's verhindern konnten. Wir waren smarter als sie. Wir wollten Könige werden. Und wenn ich erst König war, wollte ich mein Haus in Brooklyn zurückkaufen und aus dieser verrotteten Gegend wieder wegziehen. Ich schlenderte zu unserm Haus zurück. Spit hatte mich gefragt, was wir als nächstes anstellen werden. Damals hatte ich's nicht gewußt, ich wußte nur, daß die Sache im ZehnCent-Basar nicht der Mühe wert war. Aber jetzt wußte ich's! Ich konnte sogar zwei Fliegen mit einem Schlag treffen. Ich beschloß, ehe ich nach Hause zurückkehrte, nochmals in die Konditorei zu gehen, um die Sache mit Spit und Solly zu besprechen.
    Ich warf mich unruhig im Bett herum. Ich war zu erregt, um einzuschlafen. Auf der Straße vor meinem Fenster hupte jemand laut. Ich stand leise auf und setzte mich ans Fenster. Ich zündete mir eine Zigarette an und starrte hinaus.
    Unten parkte ein Lastwagen. Das schwache metallische Klirren der Abfalltonnen, die gegen den Behälter stießen, wenn die Männer sie entleerten,

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