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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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Blick.
    Ich muss zurück in das Krankenhaus, an den Tag, als ich vor dem Entlassungsschalter stand und Formulare ausfüllte und meine Sachen zurückbekam, den vollgekritzelten Stadtplan von Berlin, den Nietengürtel und das Messer, das ich noch in der Halle in einen Mülleimer warf. Nach Wochen, die am Anfang so entsetzlich waren, eine derartige, schmerzhafte, wütende Qual, dass ich die Erinnerung daran verdrängt habe, wie man die Erinnerung an eine Geburt verdrängt. Es ist wie: gelöscht, es sind nur noch die letzten Tage gespeichert in meinem Kopf. Die Tage, an denen es schon besser war, gut, an denen mich nicht mehr die Trauer und der Zorn über das beherrschte, was mir genommen worden war, als die Tür nach draußen sich langsam öffnete und die Möglichkeit eines neuen Anfangs, nein, die Gewissheit, dass es jetzt anfangen würde, jetzt endlich ganz von vorne anfangen würde, und richtig diesmal.
    Ich muss zurück in die Wohnung, in der ich danach gewohnt habe, zurück in die Küche mit den schäbigen Fliesen, dem klebrigen, gräulichen Duschvorhang, dem verdreckten Herd. Zurück an den Tag, nach dem alles besser wurde. Und manchmal, wenn ich dort war, manchmal hört dann das Kribbeln auf, und manchmal schlafe ich dann ein. Manchmal auch nicht, und dann krieche ich irgendwann aus dem Bett. Schleiche aus dem Zimmer. Sehe nach meinen schlafenden Kindern, lausche Juris Atem und Elenas leisem Schnarchen, decke sie zu, schleiche mich wieder hinaus, ziehe den Bademantel an und, wenn es kalt ist, meinen alten Daunenmantel und die Lammfellstiefel für daheim, die mir Adam für meine immer kalten Füße geschenkt hat, und rauche auf der Terrasse einen Joint an, während ich auf dem Absatz der Tür sitze und meine Knie unter dem Mantel umschlinge, ohne dass sie warm werden, und ich denke an W, der jetzt in Kabul ist oder in Bagdad oder auf dem Weg dorthin oder auf dem Weg zurück, ich denke an seine Hände, versuche, mich an sein Gesicht zu erinnern. Und manchmal, wenn er nicht im Ausland ist, nicht in irgendeinem Krisengebiet, wenn ich ihn gerade gesehen habe, am gleichen oder am Tag zuvor, denke ich daran, wie es wäre, immer bei ihm zu sein, aber meistens verscheuche ich den Gedanken wieder, schiebe meine schlafenden Kinder vor ihn, ihre Unschuld, ihre Unversehrtheit, ihr Glück, meinen grunzenden Adam, mein eigenes Glück, das ich mir mit Wünschen und Träumen und Geheimnissen vergifte, die es zerstören können und mich mit ihm, und ich jage den dummen, gefährlichen Gedanken fort. Ich sitze dort und hirne und rauche und will müde werden. Manchmal raucht vis-a-vis ein Nachbar zum Fenster hinaus. Manchmal geht unten ein anderer Schlafloser mit seinem Hund vorbei. Meistens bin ich allein in der Nacht und ich rauche meinen Joint, bis endlich ein langsames, weiches Wohlgefühl meinen Organismus durchfrickelt. Und manchmal, selten, reicht für dieses Gefühl schon die Vorstellung, dass ich jetzt gleich aus dem Bett kriechen und die Kinder betrachten und mir dann einen Joint anzünden und den Rauch in tiefen Zügen inhalieren und ein paar Sekunden in meinen Lungen behalten werde, während ein Nachbar aus dem Fenster raucht oder nicht oder ein schlafloser Hund vorbeidackelt oder nicht, und es ist gut, es ist okay.

[zur Inhaltsübersicht]
    Sieben
    «Guten Morgen.»
    «Mhm.»
    «Kaffee.»
    «Oh ja. Danke. Danke sehr.»
    Glückliche Menschen ohne Geheimnisse schlafen besser. Glückliche Menschen ohne Geheimnisse sind am Morgen ausgeschlafen. Glückliche Menschen tun sich deshalb leicht beim Aufstehen. Adam ist ein glücklicher Mensch. Er schläft gut. Keine Angst stört seinen Schlaf, keine riskanten Phantasien, kein schlechtes Gewissen. Glückliche Menschen sind gutmütiger. Das fällt ihnen leicht. Ich glaube, Adam war immer schon glücklich. Er wurde glücklich geboren in eine glückliche, wohlhabende Familie hinein, als Kind eines glücklichen Paares, das mit diesem wunderbaren Sohn so glücklich war, dass es kein weiteres Kind brauchte, ja sich ein weiteres, ein anderes, ein weniger perfektes Kind nicht einmal vorstellen konnte. Adam blieb ohne Geschwister, aber er hat sie nie vermisst. Er hatte keinen Grund, irgendetwas zu vermissen. Er hatte alles, er bekam, was er brauchte: Liebe und Aufmerksamkeit, Zuneigung und Anerkennung, Spielzeug und Kindermädchen, Freunde und Hunde. Er war folgsam, nett und süß. Alle liebten ihn. Er liebte alle. Das glückliche Kind wurde ein glücklicher Erwachsener, der noch immer alle

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