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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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Schwester ging sonntäglich zur Messe und war auch sonst religiös immer sehr engagiert. Die hat jetzt beim Sterben eh alle Vorteile, die braucht mich gar nicht. Ich habe versucht, das Astrid zu erklären, aber der mangelt es am nötigen Sarkasmus, immer schon. Seit damals, als meine Schwester wieder hinter ihrer Tür verschwunden war, habe ich sie nie wiedergesehen.
    Nein, stimmt nicht, einmal sah ich sie zufällig, vor zwei oder drei Jahren, in einem Einkaufszentrum am Stadtrand. Ich habe sie nicht sofort erkannt, sie stand in einem Schreibwarendiskounter an der Nebenkassa an, ihr Wagen war voller Partyartikel, Pappbecher, bunter Pappteller, Papierschlangen, Konfetti, Kerzen für eine Geburtstagstorte. Dann erkannte ich sie. Sie hatte sich gut hergerichtet, Minirock, Stöckelschuhe, blondierte Haare und viel Schminke, aber sie sah trotzdem alt aus. Sie ist ja gute fünfzig, vielleicht hat sie schon ein paar Enkel, das Zeug in ihrem Wagen sah jedenfalls nach Kindergeburtstag aus. Astrid hatte mir erzählt, dass sie sich hatte scheiden lassen, ich war natürlich sicher, ihr Mann habe das böse Weib verlassen, aber nein, sie hat ihn verlassen, für einen viel Jüngeren, da schau her, interessant, so katholisch war sie dann offenbar doch auch wieder nicht. Oder hat auch dafür viel gebeichtet und gebüßt, das Katholische ist ja eine hochpraktische, lebensnahe, sehr pragmatische Religion. So gesehen wundert mich auch das Rauchen nicht. Vermutlich hat sie auch gesoffen wie ein Loch. Vorne schöne bürgerliche Fassade, die man sich nicht von einer kaputten kleinen Schwester anpatzen lässt, hinten alles so im Arsch, dass man’s nicht einmal der kaputten kleinen Schwester zeigen kann. Astrid will, dass ich sie im Krankenhaus besuche.

    «Wo liegt sie denn?» Nicht dass es mich interessiert.
    «In Linz.»
    «Will sie mich sehen?»
    «Na ja, also.»
    «Hat sie was gesagt, dass sie mich sehen will?»
    «Jetzt nicht direkt.» Also nein. Hat sie nicht. Ist wohl mehr Astrids Harmoniesucht, Astrid will immer, dass alle gut sind und lieb miteinander, ein schweres Schicksal in dieser kaputten Familie.
    «Nein, also?»
    «Nein. Aber es geht ja nicht nur um Tanja.»
    «Sondern.»
    «Um dich auch.»
    «Ach, um mein Seelenheil geht es hier?»
    «Eher um dein Karma.» Ich würde sie gern fragen, was sie mein Karma angeht, aber sie ist da empfindlich und ich brauche sie noch. Sie macht halt Yoga.
    «Mein Karma, aha.»
    «Du solltest ihr vergeben.»
    «Warum? Ich sehe keinen Grund dazu.»
    «Dir würde es besser gehen.»
    «Würde es nicht.»
    «Würde es doch. Wenn nicht jetzt, dann irgendwann. Es wäre etwas Großes, Selbstloses. Es wäre gut für dich.»
    «Aha.»
    «Ja.»
    «Ich weiß nicht.» Ich weiß nicht. Muss ich das? Ich glaube nicht. Nicht nach all dem. Muss ich ihr verzeihen, nur weil sie zufällig stirbt? Muss ich nicht, oder. «Wenn sie von einem Lastwagen erwischt worden und schlagartig tot wäre, und ich hätte keine Gelegenheit mehr gehabt, ihr zu verzeihen, ich glaube, ich könnte damit gut leben. Könnte man nun einmal nichts machen, oder?»
    «Aber du weißt es jetzt. Du weißt, dass sie nicht mehr lange da ist.»
    «Sie ist ein Arsch. Sie ist ganz bestimmt immer noch ein Arsch. Was man unter anderem daran sieht, dass sie in all den Jahren ganz offensichtlich nie das Gefühl hatte, dass sie etwas falsch gemacht hat. Sie hat sich ja nie gemeldet bei mir, hat sich nie entschuldigt.» Es war ja nicht so, dass ihr plötzlich eine innere Stimme geflüstert hat, dass das damals übrigens gar nicht nett war, dass das jetzt besser gutgemacht werden sollte. Hat sie ja nie versucht. Ist ja nie gekommen. Hat ja nie ihre Hand ausgestreckt. Sie will ja gar nicht, dass ihr verziehen wird, sie sieht ja vermutlich immer noch nichts Vergebungswürdiges in ihrem Verhalten ihrer kleinen Schwester gegenüber.
    «Aber du bist eben kein Arsch. Und deswegen kannst du ihr verzeihen.»
    «Können vielleicht. Aber wollen nicht.»
    Ich würde gern Adam fragen, was ich tun soll, der könnte es mir sagen, Adam würde bestimmt das Richtige raten in dieser Situation, bloß kann ich ihn nicht fragen, denn Adam glaubt, ich hätte keine Familie mehr, außer meiner einzigen Schwester Astrid. Was ungefähr zur Hälfte ja eh wahr ist und demnächst noch ein ganzes Stück wahrer wird. So hat es meine Schwester im Prinzip auch gemacht.
    Ich habe Astrid gefragt, wie lange man ihr denn noch gibt, aber Astrid weiß es auch nicht so genau; kann morgen vorbei

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