Besser
liebt, Menschen und Tiere. Er hätte gern einen Hund. Er hätte gern noch mehr Kinder. Er würde gern auf dem Land leben, unter einfachen, glücklichen Menschen, der Narr. Er kennt das Land nicht und die Menschen dort. Er ist naiv. Er hat keine Vorstellung, wie das Leben sein kann, zu anderen. Er hat ein paar Kanten, schon: Er hat wenig Geduld, und er kann zynisch werden, wenn es die Situation erfordert, aber meistens tut sie es nicht. Er kann gar nicht anders, er kennt es nicht anders. Manchmal, ganz selten, liefert ihm das Leben eine Idee davon, wie es auch ist, zu andern ist, ein kleines Blinzeln, und dann reagiert Adam wie ein normaler Mensch, wütend, überfordert, falsch. Aber meistens hat er das nicht nötig.
Manchmal möchte ich ihm ins Gesicht schlagen und ihm etwas darüber erzählen, dass das Leben in Wirklichkeit nicht so ist, wie er es sich vorstellt. Aber für ihn ist es so. Sein Leben war immer so. Er liest Zeitung und schaut Nachrichten, er weiß, was alles passieren kann, es ist ihm klar, dass es anderen Leuten dreckig geht, und er fängt an, sich darüber Gedanken zu machen, aber mit ihm zu tun hat es eigentlich nichts. So was kann ihm nicht passieren. Er hat Glück, er kann nichts dafür, aber er hat es nun mal. Alles geht gut für ihn. Das ist der Grund, warum ich mit ihm zusammen bin: weil um ihn herum alles gut geht, weil ihm nichts passieren kann. Er ist wie kugelsicher. Alle haben ihn gern. Er ist glücklich und bescheiden, wer so glücklich ist, kann sich Bescheidenheit leisten. Er besitzt zehn identische Levi’s und zwanzig gleich geschnittene Hemden und acht gute V-Pullis in Blau und Grau, er hat zwei Paar schwarze Ludwig-Reiter-Schuhe, zwei Paar Sneakers, ein Paar Wanderstiefel. Er geht, seit ich ihn kenne, mit demselben Ergebnis zum selben Friseur. Er hat eine Menge Geld, er gibt es aus, er wirtschaftet damit, es bedeutet ihm nichts. Es ist nur Geld, und es ist zufällig da. Bei ihm. Und es war zufällig immer schon da. Er liebt das Geld nicht. Er liebt das, was er damit machen kann. Er liebt seine Kinder.
Und er liebt mich. Er hat mich gesehen, er hat mich gespürt, und nun liebt er mich eben. Er wollte mich, und wenn Adam etwas will, bekommt er es meistens. So einfach ist das für Adam. Er weiß nicht, dass ich Unglück bringe, denn ihm bringe ich ja keines. Er sieht mein Unglück, aber er erkennt es nicht, er hält es für schlechte Laune oder einen interessanten Charakterzug oder eine Unart, die man mit Yoga oder Psychotherapie oder Osteopathie und mehr Sex wegmachen, heilen kann. Und irgendwie gelingt es ihm genau dadurch, mein Unglück zu neutralisieren. Er schaut durch mein Unglück hindurch, und dadurch ist es irgendwie nicht da. Es wird nichts passieren, solange ich in seiner Nähe bleibe, mit den Kindern, immer in seiner Nähe. Solange ich bei Adam bleibe, bin ich sicher. Es wird vielleicht nicht besser, aber es bleibt gut. Und gut ist doch gut, oder. Für mich ist gut gut. Als ich Adam das erste Mal gesehen habe, die Liebe und die Sicherheit in seinen Augen, seine Fähigkeit, glücklich zu sein, und als ich gleich darauf spürte, was ich in ihm anrichtete: Da sah ich, dass ich mit ihm mein Leben retten konnte, das Fingerfoodtablett für immer abstellen, die Uniform ausziehen, die Vergangenheit übertünchen. Jemand anderer sein. Es war wie das beste Angebot, das ich je bekommen hatte, und ich nahm es in der Sekunde an. Ich ließ ihn natürlich zappeln, ich machte es ihm schwerer, als er es gewohnt war. Aber ich hatte längst unterschrieben. Er war meine Rettung, und er bleibt es. Für ihn ist alles okay. Er weiß nicht, wer ich bin.
Einmal, während eines Sommers in den Bergen, saßen wir mit Elena am Bach. Juri war noch nicht geboren. Es ist kein breiter Bach, aber wir kannten ihn, und nach Regen kann er reißender sein, als man ihm zutrauen würde, und die Familie, die ein Stück oberhalb von uns, zwischen den Tannen auf der anderen Seite mit drei oder vier kleinen Kindern dort Steine versetzte, wusste das offenbar nicht. Man sieht es dem Bach nicht an. Aber das Unglück kam. Das kleinste Kind stolperte und fiel in den Bach, ging auf der Stelle unter, trieb ab. Stieß gegen einen Felsen und wurde zum nächsten Felsen gerissen. Ich sprang auf und schrie und die Eltern des Kindes schrien auch und die anderen Kinder und Elena, alle standen und schrien, man konnte das Entsetzen sehen und das Schreien, aber man konnte es nicht hören, weil der Bach an diesem Tag so laut war.
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