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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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Und während alle lautlos in das Gegurgel und Gerausche hineinschrien, sah ich Adam schon in der Mitte des Baches, ich weiß nicht, wie er so schnell dahingekommen ist, er stapfte mit seinen dünnen Beinen einfach mitten durch die Strömung und das Reißen und fasste das schreiende, speiende, spuckende Kind am Hosenbund wie einen nassen Sack. Packte es und nahm es fest in seinen Arm, seine riesige Hand fest auf dem bebenden Rücken des Kindes, ich kann sie immer noch sehen. Stand mitten im Bach, mitten im Lärm und sprach mit dem Kind auf seinem Arm. Und das Kind sah ihn an und hörte auf der Stelle zu schreien auf, weil es in Adams Augen dasselbe erkannt hatte wie ich damals: dass es jetzt sicher war, gerettet. Dass Adam das Unglück von ihm genommen hatte. Adam weiß nicht, dass er diese Gabe hat. Er weiß nicht, dass er Menschen rettet. Er weiß nicht, dass er mich gerettet hat. Er weiß nicht, was ich getan habe. Er weiß nichts von einem Hals mit einer Messernarbe, die sich leuchtend an einen Adamsapfel schmiegt. Er weiß nichts von der alten Frau, nichts von dem Blut und von dem Schreien und von der Stille nach dem Schreien. Ich habe es ihm nicht erzählt und werde es ihm nie erzählen.

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    Acht
    Meine Schwester stirbt. Meine andere Schwester. Astrid hat es mir am Telefon erzählt. Ich lag im Atelier auf der Couch und scrollte mich durch eBay, Abteilung Design und Kunst, fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Ich brauche einen Paravent, irgendwie habe ich das Gefühl, ein Paravent, ein Vintage-Paravent, würde diesen Raum besser machen. Vielleicht könnte ich endlich wieder arbeiten, wenn dieser riesige Raum mich nicht so erschlagen würde. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich reagierte, als Astrid anrief und sagte, dass Tanja im Sterben liegt, ich sagte wohl aha, soso, oder so etwas. Und fragte, woran sie denn stirbt. (Lungenkrebs, vor sechs Wochen erst diagnostiziert, und man kann schon nichts mehr tun.) Und, genau, ich sagte, interessant, wo die Tanja doch nie geraucht hat, aber das stimmt wohl nicht, die hat schon geraucht, heimlich halt. Ich hätte gedacht, das kann die gar nicht, ich hätte gewettet, die sauberen Lungen von meiner sauberen Schwester nehmen etwas derart Schmutziges wie Rauch und Teer gar nicht an.
    Aber Überraschung. Tun sie doch. Allerdings kenne ich sie ja auch kaum. Sie ist viel älter als ich, sie war vierzehn, als ich auf die Welt kam, und als ich fünf war, zog sie von zuhause aus. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Ich erinnere mich an ihre Hochzeit, da war ich neun, und dass ich ihr erstes Kind im Arm hielt, da war ich elf. Und wie ich sie mit Mutter im Krankenhaus besucht habe, als sie ihr zweites bekam, da war ich zwölf, und als sie am Telefon sagte, nein, du kannst nicht zu mir kommen und ruf nicht mehr bei uns an, da war ich siebzehn. Und als ich vor der Tür ihres Fertighauses stand und sie mich nicht hineinließ und sagte, sie ruft die Polizei, wenn ich nicht sofort verschwinde, da war ich auch siebzehn, eine weinende, verzweifelte, kaputte, obdachlose Siebzehnjährige, die an die falschen Freunde geraten war und angefangen hatte, Drogen zu nehmen, die von ihrer betrunkenen Mutter im Streit aus dem Haus geworfen worden war, die seit einer Woche auf der Straße gelebt und vor Angst kaum geschlafen hatte. Meine Schwester steckte mir nicht einmal Geld zu. Man kriegt doch normalerweise Geld zugesteckt, wenn man derart verjagt und verstoßen wird, in Filmen ist das jedenfalls üblich, dass der Verstoßer dem Verstoßenen wenigstens ein bisschen Geld gibt, zur Beruhigung des schlechten Gewissens. Meine Schwester hat das nicht gemacht, sie hat nur die Tür zugeworfen, den Schlüssel umgedreht und durch den Spion oder die Vorhänge zugesehen, wie ich mich schlich, zurück in mein Elend. Als die Tür zwischen uns zufiel, sah sie nicht aus, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Wahrscheinlich hatte sie keins, und falls doch, wird sie sich gedacht haben, dass sie am Samstag eh zur Beichte gehen wird, zehn Vaterunser und drei Rosenkränze und alles wieder in Ordnung.
    Meine Schwester ist sehr katholisch. Das hilft ihr jetzt hoffentlich beim Sterben. Deswegen ist man doch ein Leben lang katholisch und geht jeden Sonntag in die Kirche, damit dann das Sterben mehr Sinn hat, ja Freude macht, weil man ein Jenseits hat, in das man vertrauens- und erwartungsvoll hinüberblicken kann, weil einen dort etwas erwartet, das allerweil besser ist als das hier. Meine

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