Besser
sein, kann noch ein halbes Jahr dauern. Aha. Ich weiß nicht. Ich warte jetzt mal ab. Ich mach’s einfach, wie ich es immer bei unwiderstehlichen und meistens unvorstellbar teuren Schuhen mache, die ich in einem Laden sehe, bei denen ich mir aber nicht hundertprozentig sicher bin. Ich tue erst mal nichts, ich setze mich auf meine Hände, schlafe darüber und lasse das Schicksal entscheiden: Sind sie morgen oder übermorgen noch da, gut. Ist meine Schwester nächste oder übernächste Woche noch da: mal sehen. Wenn nicht, Pech gehabt, wird schon richtig sein so.
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Neun
Jenny hat mal wieder einen Neuen. Ich hatte länger nichts von ihr gehört und rief sie vor zehn Tagen wieder einmal an. Sie sagte, sie könne jetzt nicht sprechen, nur so viel, sie flüsterte jetzt, ein schöner nackter Mann wandle gerade durch ihre Wohnung. Na bitte, sagte ich, ich will alles wissen, ruf mich sofort an, wenn er aus der Wohnung hinausgewandelt ist, und das tat sie zwei Stunden später und sprudelte mir ihr Glück ins Telefon: ein merkwürdiger Zufall, der zu ihrer Begegnung mit dem Mann, dem Traummann, geführt hatte. Ein Wunder, nach dem eben überstandenen Desaster. Anderseits hat Jenny praktisch immer gerade ein Desaster überstanden, und das Beneidenswerte an ihr ist: Sie übersteht das immer unbeschädigt, ohne Rückstände. Ich wollte zu Jenny sagen, lass mich raten, er ist groß und dunkel und hat feurige Augen, in denen man auch versinken könnte, aber ich tat es nicht. Ich wollte Jenny nicht ihre Illusion versauen, sie hätte diesmal einen ganz anderen, einen wirklich Neuen gefunden, den Richtigen.
Wenn Jenny einen Neuen hat, wird er für gewöhnlich zügig in den Freundeskreis eingemeindet, und es war auch bei diesem nicht anders: Noch in derselben Woche wurden Cocktails und anderer Alkohol gereicht, in Jennys Dachwohnung, beziehungsweise darüber. Wir saßen, in warme Decken gewickelt, auf ihrer Dachterrasse, in den gepolsterten Fauteuils und Sofas aus Plastikgeflecht, unter dem Heizpilz, den sie dort jetzt installiert hat. Diese Wohnung war ein bisschen weniger naturfreundlich als ihr Bauernhof, den sie als Wochenend- und Urlaubsdomizil hat. Ich kannte die meisten Leute nicht und teilte sie, während Jenny herumwuselte, wie immer in meine bewährten Kategorien ein, Kategorien unterschiedlich ausgeprägter Verachtung: reich, dumm, verwöhnt, drogensüchtig, sexsüchtig, faul. Die Fashionstreberin, der aufgesetzte Intellektuelle, der Designer, die philanthrope Politikergattin, der Musikauskenner. Neben mir redeten zwei über ihre erste Minimal-Compact-Platte, in welchem Jahr sie die wann genau und wie und wo gekauft hatten, und was sie dabei für Hosen anhatten und was ihnen alles abging, als sie sie zum ersten Mal hörten … Alles kaputte, versaute, kranke, wohlstandsverwahrloste, vollkommen ahnungslose und lebensuntüchtige Idioten im Prinzip, mehr als einer vom Chirurgen verschnitten, ich wollte keinen und keine von denen näher kennenlernen, ich wollte mit niemandem auch nur Smalltalk machen, ich wollte nicht über ihre Witze lachen, ich wollte nichts über ihre Kinder erfahren und über ihre tollen Kreativ-Jobs und nicht mit ihnen über Angeber-Musik aus den achtziger Jahren plaudern. Endlich tauchte Moritz auf, küsste mich links und rechts und drückte sich unter der Decke an mich, als wär ich seine Liebste, und später drückte sich Luna, Jennys Tochter, die jetzt mit dreizehn schon ein bisschen dabei sein durfte, auch dazu, zwischen uns hinein, und erzählte aufgeregt etwas von einem Dragan aus ihrer Klasse, der Hakenkreuze an die Wände schmierte, Hakenkreuze, ob wir wüssten, was das bedeute?! Ich setzte einen betroffenen Blick auf, aber Moritz irritierte Luna mit seinem Glockenlachen und sagte, das sei einfach nur ein Trottel mit vermutlich depperten Eltern und erzählte ihr dann einen schrägen Kinderwitz, und Luna lachte ihr für ihr Alter viel zu dreckiges Lachen und verschwand, um den Witz weiterzuerzählen. Ich wurde warm und langsam weicher, während ich trank. Ein paar Sterne blinkten durch den Rauch, der rund um uns aus Kaminen in den Dezemberhimmel hineinstieg. Ich fragte Moritz, wie es mit den Frauen liefe, und Moritz sagte, es liefe ganz hervorragend, insofern sie seine guten Vorsätze derzeit nicht mit unangebrachten, vorsatzgefährdenden Annäherungsversuchen durchkreuzten.
«Was ja der Plan war», sagte ich. «Die Frauen durch aggressives Desinteresse zu
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