Besser
nicht nach Jenny an, er rief mich noch während Jenny an, mehrmals, mit sehr eindeutigem Anliegen. Beim ersten Mal hob ich noch ab, es war kurz vor Jennys Geburtstag, ich dachte, es ginge um die Party oder das Geschenk. Es ging nicht um den Geburtstag, es ging nicht einmal um Jenny. Ich speicherte die Nummer unter «Arschloch» ein, vermied Begegnungen mit ihm und hob nicht mehr ab, obwohl Arschloch noch ein paar Mal anrief, auch, als es mit Jenny schon aus war. Ein paar Wochen lang schaute ich mich sicherheitshalber vor jeder Tür, durch die ich trat, und vor jedem Haus, das ich verließ, vorsichtig um. Ich kenne solche wie den. Ich weiß, was die wollen und wozu sie fähig sind, damit sie es bekommen.
Die Sonne schien störend auf den Bildschirm meines Laptops, während Jenny mich mit den Eckdaten des Neuen vertraut machte, Beruf (Fotograf, Schwerpunkt Werbung), Familienstand (geschieden, nicht zu frisch, aber auch noch nicht zu lang allein, eine Tochter, praktischerweise ungefähr in Lunas Alter). Dieses Atelier ist zu hell. Aus drei riesigen, in je neun Quadrate geteilten Dachfenstern quält mich von früh bis spät grelles Tageslicht. Adam hat mir das Atelier zum Geburtstag geschenkt. Er überraschte mich vormittags in meinem schönen, kleinen, finsteren Favoritener Souterrain mit den gekalkten Ziegelwänden und dem abgetretenen, farbversauten Bretterboden, er strahlte, machte große und theatralische Gesten und war so albern, mir ein Tuch vor die Augen zu binden. Er nahm mich an der Hand und führte mich zum Wagen, die Treppen hoch, Achtung, jetzt ein Absatz, jetzt rechts, jetzt drei Stufen. Ich kenne den Weg. Ich bin ihn tausend Mal gegangen, im Halbdunkel und im Dunkel, nüchtern und volltrunken, ich habe hier gearbeitet und, was Adam nicht weiß, ich habe hier gewohnt, ich kenne den Weg. Und ich spürte schon: Ich gehe ihn heute so gut wie zum letzten Mal. Ich fühlte grausamen Abschied in mir. Ich lächelte euphorisch, während meine Füße sich von Stufe zu Stufe tasteten. Meine Hand schwitzte in Adams Hand. Das Lächeln schmerzte. Ich hätte lieber geweint. Ich ertrage Abschiede nicht, selbst wenn sie das Ende von etwas Schlechtem bedeuten, und das war nicht schlecht.
Und jetzt bin ich hier, permanent geblendet, mit chronischen Kopfschmerzen. Ich muss endlich Rollos anbringen lassen, dunkelgrau und lichtdicht, ich muss das googeln, dafür gibt’s doch Firmen. Früher marschierten an den Knien abgeschnittene Beine durch die Fenster meines Ateliers, Kampfhunde und kleine Kinder, die manchmal neugierig zu mir herunterlinsten, Räder wurden vorbeigeschoben und Kinderwägen; jetzt nichts als gleißender, von Flugzeugen zerkratzter Himmel. Manchmal, ja, der große Mond. Das ist schön dann. Aber früher hatte ich einen türkischen Bäcker im Haus, der meinen Keller mit seinem Backofen heizte und ihn Tag und Nacht mit dem Geruch von frischem Weißbrot ausfüllte. Vis-a-vis gab es ein serbisches Café mit einem Einschussloch in der Tür. Jetzt liegt unter mir der immer propper werdende Brunnenmarkt, wo jede Woche ein neuer Bioprovolonehändler aufsperrt und drüben am Yppenplatz praktisch täglich eine neue schicke Saufhütte für Reich, Schön und Hip. Davor sitzt sommers die Bobo-Kreativwirtschaft mit grünen und roten Bobo-Lokalpolitikern, man kommt vor lauter Bugaboos und struppigen, herumtorkelnden Kleinkindern kaum noch durch. Wir wohnen in einer Seitengasse am Huberpark. Felizitas ist kürzlich auch hergezogen, in eins der teuer ausgebauten Dächer dieser Häuser voller wohlhabender Kreativmenschen und Familien wie uns, die wir gemeinsam das Viertel zu Tode gentrifizieren und zu einem Wiener Prenzlberg machen, und Adam ist daran nicht unschuldig. Er ist vielleicht überhaupt schuld. Ich wollte hier nie wohnen, ich wollte hier nie ein Atelier haben, ich war gern in Favoriten, aber Adam und sein Vater haben in diesem Quartier schon vor Jahren ein paar Zinshäuser gekauft, damals noch für ein Spottgeld. Wir wohnen in einem der Häuser, in einem andern hat Adam mir das Atelier herrichten lassen. Zum Glück liegen fünf oder sechs Blocks dazwischen, der Platz und der Betonspielplatz, auf dem man die Kinder ständig vor Kampfhunden und den serbischen und türkischen Kampffußballburschen schützen muss, die Elena, die ständig deswegen jammert, nicht mal mitspielen lassen würden, wenn es gesetzlich vorgeschrieben wäre. Soll heim Puppenspielen gehen, das Mädchen, und sich ein Kopftuch nähen. Aber ich
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