Besser
Kopf. Ein richtiger, ein wahrer Freund würde so was nicht machen mit mir. Ich überlege, ob ich aufstehen soll, weggehen, um die Ecke, um dort zu lauern, bis Moritz gekommen ist, und ihm dabei zuzusehen, wie er seinerseits wartet, ob ich meinen Drink einfach stehen lassen soll und vielleicht überhaupt weggehen, heimgehen, nicht wiederkommen, Moritz warten lassen, endgültig, stundenlang strafwarten zu lassen für all die Warterei, die er mir schon zugemutet hat. Obwohl er vor allen anderen wissen müsste, dass ich nicht warten kann. Dass ich ungut werde vom Warten, aggressiv und panisch. Ich kann nicht warten. Seit fünfzehn Minuten starre ich auf mein iPhone, ich habe alle neuen E-Mails zwei Mal gelesen und Ws SMS e bis in den August zurück und ich habe auf eine Entschuldigungs- SMS gewartet und keine bekommen. Natürlich nicht. Ich sollte einfach aufstehen und das Kopfrauschen nach draußen bringen, an die frische Luft. Rein in den Trenchcoat, weg. Vielleicht noch einen Zettel liegen lassen auf meinem Platz: Warte. Oder: Komme gleich. Oder einen Zettel mit nichts, mit gar nichts. Dem schnieken Kellner einen Zettel für Moritz geben, einmal gefaltet wie die Zettel, die in den amerikanischen Gerichtsserien immer die Geschworenen dem Richter überreichen oder umgekehrt, ich weiß jetzt nicht. Nur, dass auf meinem Zettel kein Urteil steht. Sondern nichts. Was auch ein Urteil wäre, das abschließende Urteil, dass ich auf Moritz jetzt genug gewartet habe, ein für alle Mal. Fertig. Ich mache das. Es sind jetzt siebzehn Minuten. Es sind jetzt insgesamt minimum zehntausend Minuten, die ich auf Moritz schon in irgendwelchen Drecksbars in Dreckslederfauteuils gewartet habe. Ich gehe jetzt. Es reicht. Ich stehe jetzt auf, ich hole jetzt meinen Mantel, ich verlasse jetzt dieses Lokal, nur diesen Zettel muss ich … Da ist er. Da kommt Moritz. Aber es ist zu spät, ich gehe jetzt. Ich gehe trotzdem. Moritz breitet die Arme aus, strahlt. Ich gehe trotzdem. Ich stehe jetzt auf und gehe trotzdem. Er kann mich mal, endgültig. Moritz lässt sich neben mich fallen, schlingt seine Arme um mich, sein schmales Oberlippenbärtchen kratzt auf meiner Wange, unsere Brillen klappern aneinander. Die Amis schauen genervt.
«Ma chère! Bin ich zu spät? Hast du gewartet? Verzeih mir, bitte!» Er geht mir so auf den Geist.
«Schon gut, Honey. Ich bin auch eben erst gekommen.»
«Thank god! Es tut mir schrecklich leid.»
Ja, ich weiß, du Pfeife. Meine Güte. Okay, es ist Moritz. So ist Moritz eben. So kriegt man Moritz. Anders kriegt man ihn nicht. Nur zu spät. Ein rechtzeitiger, pünktlicher Moritz existiert nicht. Wenn man ihn so nicht nimmt, hat man ihn nicht. Mein Freund Moritz. Mein schwuler Freund Moritz. Denn ich habe, wie jede Frau meiner Generation, die etwas auf sich hält, einen schwulen Freund. Meiner hat den kleinen Makel, dass er nicht weiß, dass er schwul ist. Dass er behauptet, es nicht zu sein und jeden Verdacht entschieden von sich weist. Von mir aus. Wir gehen gemeinsam shoppen und zur Massage. Wir hatten nie Sex miteinander und werden nie welchen haben, ein einziger Kuss hat genügt, um Sex für immer auszuschließen. Und ich bin mir nicht nur deshalb vollkommen sicher, dass er definitiv und unwiderruflich schwul ist, aber wenn er sagt, nein … Bitte. Gern. Jeder, wie er will.
Moritz trägt eine Cargohose aus dem Army-Shop, ein schönes, anliegendes, babyblaues Shirt und ein Armani-Sakko, das er in diesem Secondhand-Laden in der Innenstadt gekauft hat. Ich war dabei und habe ihm zugeraten, es passt ihm perfekt. Er sieht gut aus, seine Hände sind frisch manikürt, er riecht dezent und teuer, seine Ärmel spannen an den Oberarmen und er hat einen perfekten Sixpack unter dem T-Shirt. Moritz sieht gut aus, und er weiß das. Moritz kann nicht verstehen, warum er nie eine richtige Beziehung hat. Ich schon. Er stellt mir Frauen vor, ich tue so, als merkte ich mir ihre Namen, was nicht notwendig ist, und ich leide mit ihm, wenn sie ihn wegen eines anderen Kerls verlassen. Genauer: wenn sie ihn wegen eines Kerls verlassen. Oder wenn er sie verlassen muss, wegen irgendeines Problems, das, wenn man mich fragt, im Prinzip stets darin besteht, dass sie Frauen sind, dass sie Brüste haben und Vaginas, auch wenn seine Frauen für gewöhnlich von dem einen nicht sehr viel haben und beides gut zu verbergen wissen. Aber es ändert doch nichts daran, dass sie keine Penisse haben, keine prima definierte Oberarmmuskulatur und keine
Weitere Kostenlose Bücher