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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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herum. Er ist es gewohnt, etwas Gutes zu bekommen.
    «Ich dachte, so was würden sie hier können.»
    «Tja.»
    «Elena hat es gefallen.»
    «Bist du dir sicher? Erstens war Elena noch angeschlagen von dem blöden Darmvirus. Zweitens war sie noch nie in einer Schule. Ihr würde im Augenblick alles gefallen, das gerade knapp nicht Guantanamo oder ein Al-Qaida-Ausbildungscamp ist.»
    «Jetzt übertreib nicht. Sie …»
    «Außerdem: Es gab einen Cola-Automaten. Der hat ihr gefallen. Mir dagegen nicht.»
    «Der hat mir auch nicht gefallen. Gar nicht. Was hat ein Cola-Automat in einer Grundschule verloren? Der kommt in die Minus-Rubrik.»
    «Machst du eine Liste?»
    «Im Kopf.»
    «Mach doch eine Liste. Eine echte. Du machst doch so gern Listen.»
    «Du machst dich lustig.»
    «Trotzdem. Leg eine Liste an. Eine Excel-Tabelle.»
    «Du machst dich lustig über mich. Ich finde das nicht schön.»
    «Jaja. Ich mein’s aber dennoch ernst. Auch wenn ich mich lustig mache.»
    «Du bist eine böse Frau.»
    «Hab nie was anderes behauptet. Mach jetzt die Liste. Warte, ich hab da irgendwo einen Stift.»
    «Jetzt im Ernst: die Direk… danke, die Direktorin macht wirklich einen integren Eindruck auf mich. Hast du auch einen Zettel?»
    «Moment. Hier. Schreib’s auf. Wobei, integer, welche Kategorie ist das?»
    «Wie meinst du das?»
    «Ich meine: Was hat unser Kind von einer integren Direktorin?»

    Ich werde dafür sorgen, dass die Minus-Liste länger wird, Adam wird es gar nicht bemerken. Er wird glauben, es sei unsere gemeinsame Entscheidung, meine und seine. Aber er ist zu naiv, um eine solche Entscheidung zu treffen, er sieht die Probleme nicht. Ich sehe sie. Ich will nicht, dass Elena auf diese Schule geht. Ich habe, während Adam und Elena mit netten, idealistischen Lehrerinnen und süßen Schülerinnen und Schülern plauderten, am Fenster gestanden und auf den Schulhof hinunter geblickt, wo gerade Pause war. Ich sah eine Menge rempelnder, boxender Zwölf- und Vierzehnjähriger, die gar nicht süß wirkten. Vielleicht waren sie süß gewesen, als sie fünf waren, wie Elena, oder auch noch mit sechs und mit sieben, vielleicht werden sie durch ein Wunder wieder süß, wenn sie neunzehn sind oder zweiundzwanzig. Eher nicht. Jetzt sind sie elf, zwölf und dreizehn und nicht süß. Sie sind roh und grob wie Affen. Ich sehe die Narben ihrer Herkunft. Sie haben brutale Stoppelfrisuren, die Schläfen rasiert, wie Mini- GI s. Sie wollen gefährlich aussehen, weil ihre Väter es wollen und ihre älteren Brüder. Sie verachten Frauen, kleine Mädchen bestrafen sie, an größeren reagieren sie sich ab. Erst kürzlich, als ich auf die U-Bahn wartete, sah ich einen, der war vielleicht zwanzig, der beschimpfte eine wunderschöne, elegante und stolze junge Kopftuchträgerin in engen Röhrenjeans, die ihn offenbar abgewiesen hatte. Du Hure, schrie er, dich krieg ich noch, dir zeig ich’s noch, du grindige, perverse Nutte. Ich will nicht, dass mein zartes sechsjähriges Mädchen in ihre Hände gerät, ein Opfer ihrer Grobheit, ihres verletzten Stolzes und ihres Hasses wird. Ich will nicht, dass mein kleines Kind sich gegen ihre Weltanschauung wehren muss, ich will nicht, dass sie mit ihren Ansichten konfrontiert wird und ihre Gewohnheiten annimmt. Ich will nicht, dass sie ihre Ausdrücke lernt und ihre Sprache spricht. Ich will nicht einmal, dass sie ihre Sprache hört. Nicht die Sprache des Landes, aus dem ihre Eltern stammen, sondern die Sprache der Straße, die Sprache männlichen Größenwahns, die Sprache von Überlegenheit und Gewalt. Ich habe nichts gegen Ausländer; wir sind sehr gut mit Mirkan und Alenka, netten, aufgeschlossenen Menschen, die mit ihrer Babytochter in unserem Haus eine Hochparterre-Wohnung bewohnen. Ich habe nichts gegen Ausländerkinder. Es geht nicht um Herkunft. Es geht darum, was die Herkunft, die Umstände und die Stigmata ihrer Herkunft aus ihnen gemacht haben, und dass sie deshalb nicht in der Position sind, daran etwas zu ändern. Oder nur mit unheimlich viel Kraft, so viel Kraft, dass es einen einzelnen Menschen meistens überfordert. Ich kenne mich aus mit Herkunft, ich weiß, was sie mit dir macht. Wenn du eine Herkunft hast, ist es schon schlimm genug, sogar, wenn man sie dir nicht ansieht. Wenn man sie dir ansieht, stellt sie dich an die Wand, drängt dich in eine Ecke, in der du nur noch reagieren kannst, und die meisten reagieren wie bedrohte Tiere. Es ist nicht ihre Schuld, sie haben keine andere

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