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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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kalmierenden Gelächter ein Hemd mit rotem Vichy-Karo, ich kaufe mir einen Seiden-Foulard, eine lange Halskette und eine perfekt sitzende 7 for All Mankind. Mal sehen, ob sie das morgen zuhause auch noch tut. Adam hat mir eine Kreditkarte gegeben, er fragt nie nach, wie viel ich ausgegeben habe. Und ich gebe viel aus. Adam sieht es. Er kommentiert es nie.

    «Ist das vielleicht ein wunderbares Hemd?»
    «Das ist ein perfektes Hemd, Schatz.»
    Moritz, auf den ersten Blick: reine Oberfläche. Er wirkt so glatt, man glaubt, man kann sich in ihm spiegeln. Er verschwindet hinter seinem Glanz, seinem Geplauder, seinem riesigen, überlauten, keiner Konversation angepassten Lachen. Er ist kaum sichtbar hinter dem, was er repräsentiert, den oberflächlichen, leichtfertigen, amüsanten, liederlichen Kerl. Wenn man ihn kennenlernt, denkt man: lustig, amüsant, aber nicht unbedingt die hellste Birne im Luster. Es ist sein Trick, sein Hobby, dümmer zu wirken, als er ist. Die meisten Leute versuchen, smarter rüberzukommen, als sie sind, und genau deshalb fallen sie auf Moritz herein. Warum sollte irgendwer ein Interesse daran haben, von seinen Mitmenschen nicht für voll genommen zu werden? Moritz hat dieses Interesse, ich glaube, weil es seiner verborgenen Eigenbrötlerei entgegenkommt. Man geht dummen Menschen doch eher aus dem Weg, man lässt sie in Ruhe. Ich glaube, jedes Mal, wenn Moritz merkt, dass ihn wieder einer für eine komplette Pfeife hält, klebt er sich innerlich mit zufriedenem Grinsen ein goldenes Sternchen auf, gut gemacht, Moritz. Er ist stolz darauf, wieder einen reingelegt, sich wieder ein bisschen Ruhe und Raum verschafft zu haben auf der Welt. Wieder ein Stück Freiheit gewonnen. Man wird doch sehr viel eher in Frieden gelassen, wenn sie einen für dumm halten, und man muss nicht so viel Verantwortung übernehmen. Moritz, das behauptet er jedenfalls, scheut sich sehr vor Verantwortung.

    Er scheut sich so sehr davor, dass er sein Medizinstudium ein paar Monate vor dem Abschluss abgebrochen hat. Nicht, weil er es nicht gepackt hätte, sondern weil er plötzlich gemerkt habe, dass er doch lieber kein Arzt sein wollte. Ich weiß nicht, wie sehr der Tod seines Vaters, der Chirurg war und in einem Auto starb, das Moritz chauffierte, damit zusammenhing: Aber sehr kurz darauf ließ Moritz, der bei dem Unfall nur leicht verletzt wurde, das Studieren einfach sein. Um dann ein Jahr lang nur nachzudenken. Kellnerte abends in der Bar eines Freundes und dachte tagsüber nach. Dann begann er eine Ausbildung als Krankenpfleger und spezialisierte sich schließlich auf die Psychiatrie, wo er jetzt schon seit Jahren arbeitet. Tut, was man ihm sagt und ist nicht verantwortlich, das heißt, er fühlt sich schon verantwortlich, aber eine Nummer kleiner. Im Krankenhaus weiß keiner, dass er hier genauso gut einer der Ärzte sein könnte, Dr. Wagner, Prof. Dr. Wagner, nicht: Schwester Moritz. Aber er ist zufrieden mit seinem Dasein als Un- oder Minderverantwortlicher. Er würde mitunter gerne ein bisschen mehr verdienen, aber am Ende, sagt er, sei ihm seine Freiheit mehr wert als mehr Geld.
    Als ich ihn kennenlernte, war das alles schon geschehen. Ich wollte ihm die Geschichte zuerst nicht glauben, vor allem deshalb, weil Moritz großen Wert auf schöne Dinge legt und auf gute Kleidung. Allerdings: Er hatte schon damals kein Auto und lebte in der riesigen, unbeheizbaren Wohnung, in der er aufgewachsen ist, und aus der seine Mutter nach dem Tod des Vaters auszog, um in einer kleinen, warmen Neubauwohnung mit Balkon alt zu werden, unkontaminiert von Erinnerungen an den Mann und das Unglück, das ihn aus dem Leben riss. Trotzdem habe ich Moritz erst wirklich geglaubt, als er mich einmal zu einem Geburtstagsessen einlud, wo es mir ein paar seiner Freundinnen und Freunde, die alle Mediziner sind, Exkommilitonen, bestätigten. Eine von ihnen hat mir von ihrer Fassungslosigkeit über Moritz’ Entschluss erzählt: Wie sie fand, dass er das nicht ernst meinen könne, wie sie nicht sicher war, ob er psychisch krank oder drogensüchtig oder verrückt geworden war von dem Unglück, derlei. Aber das war er alles nicht. Der Unfall hatte seinen Kopf zurechtgerückt und ihm seine Möglichkeiten aufgezeigt, und das bedeutete in Moritz’ Fall, dass er weniger wollte, als er haben konnte. Weniger, als man von ihm als Sohn einer Medizinerfamilie erwartete. Er empfand das als unerträgliche Last. Er wollte weniger sein, als er von Geburt aus war,

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