Besser
hat, damit ich mich in unserem Palais tagsüber nicht so furchtbar langweilen muss. Aber der Künstler fragte gar nicht, der war ganz von sich selbst erfüllt. Oder er wusste, wer ich bin, und ich war in meiner Funktion als Zuhörerin und als Frau eines wohlhabenden Kunstsammlers völlig ausreichend für ihn. Aber ich fühlte mich dennoch die ganze Zeit wie eine Betrügerin, wie eine, die nicht dazugehört, eine, die nur so tut als ob. Eine, die nur durch Adams Gnaden in so einen erlesenen, kreativen Kreis geladen wird. Keine von denen.
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Einundzwanzig
Er hat ein paar SMS e geschickt, wann wir uns sehen können. Er ist gerade da und weiß nicht, wie lang, ich habe ausweichend geantwortet und auf die letzte noch gar nicht. Ich weiß nicht. Es ist irgendwie … Es ist mir anstrengend. Vielleicht, weil es Winter ist und so kalt. Ich friere ständig. Mein Körper gefällt mir im Winter nicht, ich will meinen Körper im Winter nicht sehen, nicht nackt sehen, zu weiß, zu blass und schwammig. Und ständig voller blauer Flecken, von denen ich nie weiß, wo ich sie herhabe. Im Sommer mag ich meinen Körper, wenn er sich bräunt und dann ein bisschen drahtiger aussieht. Im Sommer zeige ich mich gern her, im Sommer trage ich kurze Röcke und ärmellose Blusen und an manchen, sehr heißen Tagen wickle ich daheim oder im Atelier überhaupt nur ein großes, leichtes, buntes Tuch um ihn, spüre meine Nacktheit darunter und finde es schön, wie der Schweiß glänzende Spuren und Flecken auf dem satten Braun macht und wie meine Haare dazu leuchten. Im Sommer schlafe ich nackt. Im Winter will ich meinen Körper bedecken, immerzu, mit vielen Schichten.
Vielleicht sollte ich ihn erst im Sommer wieder treffen, ich mag mich jetzt nicht ausziehen in seiner kleinen, schlecht geheizten Dachwohnung, mit den desinteressiert zusammengewürfelten Ikea-Möbeln, den zerwühlten Bücherkisten, die schon seit Jahren am Boden herumstehen und dem immer halb gepackten Tramperrucksack, der einen fixen Platz an der Wand seines Schlafzimmers hat. Kein Spiegel, außer im Bad. Keine Teppiche. Keine Bilder, außer ein paar herausgerissenen Zeitungsseiten, mit Tixo an die Wand geklebt, Cartoons, Fotos, Kommentare. Er wohnt wie ein Student. Oder wie einer, der eh gleich wieder weg ist und deshalb keinen Grund hat, sich schön oder gemütlich einzurichten. Da oben quält mich durchaus mitunter die virulente Frage, was ich hier bitte mache, wie ich in so eine Umgebung, zurück in so ein längst überwundenes Prekariat geraten bin … Vielleicht, weil der Ort geheim ist, für alle außer mich, und weil seine Rollos immer zu sind, wenn ich komme, und die Zimmer in warmes, oranges Höhlenlicht tauchen. Vielleicht, weil es so eng und begrenzt ist, wie ich es gern habe. Vielleicht will ich einfach ein Geheimnis haben, einen Ort nur für mich allein. Aber das kann es eigentlich nicht sein. Geheimnisse habe ich schon genug.
Das Schicksal hat mich mit Geheimnissen reich beschenkt, ich weiß gar nicht mehr wohin damit, ich finde in mir schon keine Schrankfächer mehr, in denen ich noch mehr Geheimnisse verstauen und verstecken könnte. Vielleicht sollte ich einmal das eine oder andere Geheimnis ausräumen, wegschmeißen, entsorgen. Vielleicht sollte ich endlich auf neue Geheimnisse verzichten, aber offenbar ist auch das eine Sucht, von der ich nicht loskomme. Die Sucht, neue, konventionelle, brave Geheimisse zu sammeln, die ich dann vor die alten, bösen schieben kann, um die noch weiter nach hinten zu rücken, noch ein bisschen besser zu verstecken. Vor Adam, vor anderen, vor mir selbst. Aber ich weiß nicht, wie man Geheimnisse entsorgt, außer durch Preisgabe. Und ich will und kann meine Geheimnisse nicht preisgeben, mein Leben hängt davon ab, dass ich sie bei mir behalte. Bei einem Therapeuten vielleicht? Womöglich sollte ich eine Therapie beginnen, eine Geheimnisvernichtungstherapie, aber ich will keine Therapie mehr, nie mehr wieder, nicht einmal die selbstbestimmte Therapie mit dem selbstgewählten Therapeuten, zu der mir Moritz schon länger rät, obwohl er weiß, dass allein der Gedanke an eine Therapie mich aggressiv macht. Aber ich war schon bei so vielen Therapeuten, und ich will nie wieder dahin. Immerhin, würde Moritz jetzt wohl sagen, hat das dazu geführt, dass ich überhaupt Schränke für meine Geheimnisse gefunden habe, dass sie überhaupt irgendwo aufbewahrt sind und ruhen, jedes an seinem Platz, alle gut in einem Spind
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