Besser
weggesperrt, hinter dessen Tür sie mir nicht mehr mein Leben ruinieren, jedenfalls meistens nicht. Manchmal schlüpft eines durch eine Ritze und wütet ein wenig in mir herum, aber mittlerweile bekomme ich es meistens bald zu fassen. Aber kaum habe ich meine alten Geheimnisse einigermaßen unter Kontrolle, bastle ich mir ein neues. Das ist doch nicht normal. Und dann noch nicht einmal ein besonderes, sondern ein ganz gewöhnliches, ein Konfektionsgeheimnis, das konventionellste aller möglichen Geheimnisse, so eins, wie es vermutlich die Hälfte meines Bekanntenkreises auch hat, genau das gleiche.
Aber vielleicht ist ja genau das ein Schritt in Richtung Normalität, dass man endlich auch ganz normale Spießergeheimnisse hat, dass sich die Geheimnisse an das Leben, das man führt und führen will, einfach anpassen. Und umgekehrt. Und vielleicht hält ja genau das die anderen, die schlimmeren Geheimnisse so einigermaßen unter Kontrolle. Dass man ein Durchschnittsgeheimnis zulässt, dass dieses einen so weit beschäftigt und besänftigt, dass man nicht aus reiner Langeweile eines der bösen, alten Geheimnisse aus dem Schrank lässt.
Und möglicherweise machen uns gerade unsere Geheimnisse zu normalen, einigermaßen erträglichen Menschen, vielleicht sogar zu besseren Menschen. Vielleicht ertragen wir das Leben ohne Geheimnis gar nicht. Vielleicht macht uns erst das, was wir nicht sagen, nicht preisgeben, zu dem, was wir sind, zu ganzen, vollständigen Menschen. Vielleicht ist jeder Mensch unfertig ohne ein eigenes, privates Geheimnis. (Vielleicht sollte ich weniger kiffen.) Vielleicht sollte ich ihn doch nicht erst im Sommer treffen, sondern bald, sehr bald, das Geheimnis ein bisschen auffrischen, der Sache ein bisschen romantischen Dünger gönnen. Und mich an das erinnern, was er letztes Mal gesagt hat. Und seine SMS von vorgestern Abend endlich beantworten, mit einem schlichten
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Zweiundzwanzig
«Ich dich auch. Wo bist du gerade?»
Er lässt mich warten, eine Stunde, zwei Stunden. Er hat auch seinen Stolz, er ist ja nicht irgendwer, und vor allem hat er sich um wichtige Dinge zu kümmern, und das muss er jetzt beweisen. Alles folgt einer zwingenden, schon vertrauten Dramaturgie: Lässt du mich warten, lass ich dich warten. Zwei Stunden. Vier Stunden. Fünf Stunden. Ich bade gerade Juri, als mein Handy glongt.
Ich kann erst nachsehen, wenn ich Juri die Haare gewaschen habe. Unter Gebrüll, wie immer. Es ist ein Babyshampoo. Er hat noch nie was in die Augen gekriegt. Trotzdem. Ich brabble so besänftigend wie möglich auf Juri ein, während ich sein drahtiges Haar schamponiere und die Nachricht auf dem Handy zu erraten versuche. Möglicherweise ist er ja wirklich gekränkt und will jetzt nicht mehr. Was mir nun auch nicht recht wäre. Ich verteile etwas Shampoo auf Juris Körper, drücke ihm einen Waschlappen in die Hand, den er sich vor die Augen presst, und dusche ihn dann ab. Er jammert laut.
«So fertig. Raus jetzt.»
«Nicht raus!»
«Na komm, Mausi. Du hast ja schon Schwimmhäute zwischen den Fingern. Da, schau.»
«Wo?»
«Da, sie wachsen schon, siehst du? Und schau dir deine Finger an. Schon ganz schrumpelig!»
«Nicht raus.»
«Doch, Baby. Jetzt.»
Ich hebe ihn aus der Wanne. Er strampelt, macht sich schwer, entgleitet mir und platscht ins Wasser. Schaum spritzt in sein Gesicht. Er heult auf.
«Da schau. Jetzt steh auf.»
Er stemmt sich plärrend hoch und streckt die Arme nach mir aus. Ich wische ihm das Gesicht mit dem Waschlappen ab, hebe ihn heraus. Ich höre Adam in der Küche rumoren und mit Elena plappern. Ich trockne Juri ab und setze ihn dann auf das Handtuch.
«Sitzenbleiben, Baby, hörst du? Ich hol nur schnell eine Windel. Du bleibst sitzen, versprochen?» Während ich ins Kinderzimmer rase, gebe ich meinen Code ins iPhone ein. 3993 .
«Seit gestern abend wieder in wien, süße. und ich habe das hemd an, das du mir geschenkt hast und kriege die knöpfe nicht auf und frage mich, ob du nicht vorbeikommen und mir helfen könntest … kuss»
Ich grinse und stecke das Telefon in meine Hosentasche, schnappe mir eine Windel vom Regal und laufe zurück ins Bad. Als ich zurückkomme, steht Juri vor dem Heizkörper und beschmiert ihn mit Babyshampoo. Ich weiß nicht, wie er das aufgekriegt hat. Ich kriege das nie auf. Letzte Woche habe ich mir beim Versuch, das aufzukriegen, einen Fingernagel abgebrochen.
«Juri. Du schlimmes, schlimmes Kind!»
Er strahlt und
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