Besser
okay?»
«Okay.»
«Geh jetzt Zähne putzen, Mausi. Juri!»
Das Handy in meiner Hosentasche glongt und vibriert.
«Juri! Jurilein! Komm zu Mama, Jurikind.»
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Dreiundzwanzig
«Damals in den Tiroler Alpen, als Elena noch klein war, da hat es dir doch gefallen.» Sagt Adam, später, im Bett. Er meint das Haus auf dem Land.
«Das war nicht so ein Land. Das war anderes Land als das, was es da um Wien herum gibt.»
«Woher willst du das wissen? Du kennst es ja gar nicht, du willst dir ja nie was anschauen.»
«Weil ich es weiß. Ich bin auf so einem Land aufgewachsen.»
«Was war daran so schlimm?»
«Alles.»
«Glaub ich nicht. Zeig mir doch mal dein Elternhaus. Lass uns einfach hinfahren, und du zeigst es mir.»
«Es steht nicht mehr.» Lüge. «Nach dem Tod meiner Mutter wurde es verkauft und abgerissen.» Lüge, Lüge. «Da steht jetzt ein Mehrparteienhaus, soweit ich weiß.» Lüge, Lüge, Lüge. Adam hat nie viel nachgefragt, wenn es um meine Familie ging. Er glaubt, die sind tot, jetzt außer Astrid. Ich habe ihm erzählt, dass mein Vater bei einem Betriebsunfall ums Leben kam, was der Wahrheit entspricht, und, was der Wahrheit nicht so sehr entspricht, dass meine Mutter vor ein paar Jahren an plötzlichem Herzversagen starb. Ich habe ihm das Gefühl gegeben, dass es mich belastet, darüber zu sprechen, und er hat mich damit in Ruhe gelassen, und Astrid auch. Bis jetzt offenbar. Ich muss aufpassen.
«Aber dann lass uns doch einfach einmal ins Weinviertel fahren. Oder ins Waldviertel. Vielleicht gefällt es dir trotzdem irgendwo. Es gibt da sehr schöne Ecken. Und sehr schöne Häuser.»
«Ich weiß nicht.»
«Bei Jenny hat es dir doch gefallen, wie du letztes Jahr dort warst.»
«Na ja, ging so. Und du weißt, was dort passiert ist.»
«Das hätte in der Stadt genauso passieren können. Und wir brauchen ja keinen Pool, jedenfalls jetzt noch nicht.»
«Wir brauchen auch kein Haus. Wir haben eine schöne Wohnung mit einem grünen Innenhof. Der Park liegt direkt vor unserem Fenster. Das ist fast wie Land.»
«Lass uns doch einfach einmal was anschauen.» So leicht gibt Adam nicht auf. «Nur schauen.»
«Ich weiß nicht.»
Ich weiß, dass er heimlich Anzeigen studiert, ich hab’s gesehen, auf seinem Laptop, er hatte vergessen, sie wegzuklicken. Idyllischer Vierkanthof im Waldviertel mit zwei Hektar Grund dazu. Bastlerhit im Weinviertel mit fantastischer Aussicht und schönem altem Obstgarten. Herrlicher topsanierter Bauernhof mit Weinberg in der Wachau. Alter Gasthof mit Tanzsaal in der Buckligen Welt. Er wird ein Haus kaufen, ich weiß es. Egal was ich will, er wird tun, was er will, weil er das immer tut, weil er das so gewohnt ist, und weil es sein Geld ist. Ich sollte mich besser langsam mit dem Gedanken anfreunden. Muss das mal mit Moritz besprechen.
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Vierundzwanzig
Ich weiß, dass Astrid Kontakt zu Mutter hat. Ich glaube, sie fährt manchmal hin, in das alte Haus, in dem sie immer noch wohnt, wahrscheinlich mit nichts als ihren Flaschen. Ich vermute es nur, ich habe Astrid verboten, darüber zu sprechen, Mutter auch nur zu erwähnen. Für mich ist sie tot und wird es bleiben, bis sie wirklich gestorben ist. Ich weiß nicht, warum Astrid sich immer noch um sie kümmert, sie ist ein anderer Mensch als ich. Sie kann verzeihen, vergessen. Ich hab das nicht im Organismus, vielleicht auch, weil ich Dinge gesehen habe, die Astrid sich nicht einmal vorstellen kann. Astrid ist versöhnlich, vielleicht, weil es sie nie so aus der Spur gerissen hat wie mich. Oder vielleicht hat es sie nicht so aus der Spur gerissen, weil sie nicht so ist wie ich. Sie hat nicht diese Wut in sich. Sie kennt nicht das Rauschen im Kopf. Vielleicht ist sie einfach ein besserer Mensch als ich.
Manchmal denke ich, dass sie viel besser zu Adam passen würde. Wir sehen uns ähnlich, wir sind aus der gleichen Charge, nur ihre Haare sind lang und noch immer so braun, wie sie bei mir als Kind waren. Wir haben die gleichen Grübchen, die gleichen Brüste und den gleichen, wiegenden Gang, Adam hat es einmal erwähnt. Wir hatten auch die gleichen schmalen, gebogenen Nasen, die Nase unserer Mutter, bevor ich meine gerade machen ließ, mit dem ersten selbstverdienten Geld, mühevoll zusammengespart. Ich wollte die Nase meiner Mutter nicht, ich wollte nicht ihr Gesicht, ich wollte in meinem Spiegel nicht meine Mutter sehen, nichts von meiner Mutter, ich wollte mein eigenes Gesicht. Ein
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