Besser
Gruber immer.
«Fräulein sagt man nicht mehr.»
«Ich schon.»
«Ja, du schon. Du sagst ja auch Neger. Und Tschusch.» Die Stecher kennt den Gruber schon ziemlich lang.
«Ja, genau, weil ich mir diese politisch korrekte Sprachdiktatur nicht aufzwingen lasse. Und jetzt bestell ich mir einen Mohr im Hemd.»
«Haben sie hier nicht. Und wenn, dann würde es hier hundertprozentig gekochter Schokokuchen mit flüssigem Kern und Schlagobers heißen.»
«Ich sag ja immer, dass das ein scheiß Bobo-Lokal ist hier. Versteh gar nicht, warum wir uns immer hier treffen. Rauchen darf man auch nicht.»
«Such uns ein anderes, das gleich nah am Kindergarten liegt und um diese Zeit schon offen hat.»
«Das ist leicht. Morgen gehn wir ins Kent. Stecher, hast du jetzt endlich einen neuen Stecher?»
«Unabhängig davon, John, hätte ich gern eine andere Gesellschaft. Eine etwas elegantere, sensiblere», sagt die Stecher. «Und diskretere.»
Dabei ist die Stecher selbst so neugierig. Ich hab sie einmal dabei ertappt, wie sie beim Händewaschen einen Blick in unseren Badezimmerschrank warf. So ganz beiläufig, als wär die Tür von selber aufgesprungen. Ich musste schnell ins Badezimmer, um einen Putzfetzen zu holen, weil eins der Kinder den Saft umgeschmissen hatte, und erwischte die Stecher mit den Händen unterm Warmwasser und der Nase in unserem Schrank. Ich habe die Tür sofort wieder zugemacht, sie hat nicht gesehen, wer es war und wie viel er gesehen hatte, und danach kam sie zurück an den Tisch, als sei nichts gewesen. Ich seh mich seither vor bei ihr.
«Na und, Stecherin, hast du?» Der Gruber ist wie ein Kampfhund, wenn er mal zugeschnappt hat, lässt er sein Opfer so schnell nicht mehr los. Er kann nicht. Die Stecher hat mir erzählt, dass er eine schlimme Krebserkrankung überstanden hat, wahrscheinlich ist einem danach viel mehr wurscht. «Jetzt sag schon, ist ja nichts dabei.»
«Eh nicht. Aber dir, Gruber, würd ich so oder so nichts erzählen. Und schon gar nicht beim Frühstück.»
Ich fand es gut zu heiraten, so schnell zu heiraten. Ich war nicht sicher, ob Adam die richtige Entscheidung getroffen hatte, aber für mich war es richtig. Ich wollte ein normales Leben, mehr als das, ich wollte eine Existenz mit dem amtlichen Siegel «normal» darauf. Ich wollte diesen normalen, gutsituierten Mann und sein schönes Dasein und seine schöne Wohnung und seine warmen Augen und ich wollte das alles beglaubigt und vor Zeugen. Ich wollte Kinder mit ihm, genau zwei. Ich wollte zu ihm gehören, zu seiner Welt, auch wenn mir klar war, dass mir einiges davon immer fremd bleiben würde und unangenehm, in vielerlei Weise. Und dass ich darin immer fremd bleiben würde. Aber es war die Welt, in der ich fortan leben wollte. Ein neuer Mensch wollte ich sein, ein Mensch, der in die Behaglichkeit genau dieser Welt passte, und wenn ich mich dafür verbiegen, umkrempeln, von innen nach außen stülpen musste. Und darauf wollte ich den Unwiderruflichkeitsstempel, das Echtheitszertifikat. Ich wollte Adam auf jede mögliche Weise an mich binden, bevor er seinen Fehler eventuell bemerken würde. Erstaunlicherweise scheint ihm bis heute nichts aufzufallen. Er scheint glücklich zu sein mit mir. Er wollte mich, er hat mich bekommen, für ihn stimmt alles. Aber es stimmt nicht. Es ist eine Lüge, zwei, viele Lügen. Alles nicht echt. Ein falsches Leben, und ich habe es mir erschlichen. Ich bin eine Betrügerin, und ich wundere mich, dass er es nicht merkt und auch sonst keiner.
Das stimmt nicht ganz. Manche merken es. Und das ist der Grund, warum ich nicht gern mit Adam essen gehe. Er versteht nicht, warum ich lieber Leute nach Hause einlade, warum ich mir die Arbeit antue und den ganzen Nachmittag in der Küche stehe. Ich behaupte, ich tue es gern, was insofern stimmt, als es immer noch weniger anstrengend, weniger aufreibend, ungefährlicher ist, als sich mit Adam in ein gutes Restaurant zu setzen. Das ist ein Luxus, den er sich zugesteht: Gut zu essen und guten Wein zu trinken, in teuren Lokalen. Er fühlt sich wohl dort, er agiert und spricht und bestellt und bewegt sich dort mit der Nonchalance, die er gelernt hat, seit er ein Kind ist. Er hat es von seiner Mutter, die das Geld in die Ehe mitbrachte, das sein Vater dann vermehrte. Seine Mutter kocht nicht, bis heute nicht, aber sie hat Adam beigebracht, wie man isst. Gut isst. Wie man sich bekochen und bedienen lässt. Was einem zusteht, wenn man dafür bezahlen kann. Kellner
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