Besser
Luxuslethargie. Manchmal geschieht das. Es klingelt, und nachdem ich mich durch die Fernsprechanlage versichert habe, wer es ist, bringt ein Paketbote oder Spediteur eins der Dinge, die ich im Netz gekauft habe, Schuhe, Jacken, Teppiche, antike Bilderrahmen, Werkzeug, Blechdosen, alte Tapeten, die in großen Rollen herumstehen und aus denen ich irgendwann irgendetwas machen will, genauso wie mit den Ballen alten Leinens daneben, Espressokapseln, Elektrozeugs, das ich nicht wirklich brauche, Stehlampen, Tischlampen und Hängelampen, teure Olivenöle und getrocknete Würste, die ich genauso gut unten am Markt kaufen könnte, Kunstbände, DVD s, CD s und heute Vormittag den Paravent, den ich bestellt habe. Er ist aus schwarzem, lackiertem Holz, asiatisch, antik, teuer. Jetzt, wo er in meinem Atelier steht, sieht er beschissen aus. Ich habe ihn eine Stunde lang herumgeschoben, ohne einen Platz zu finden, an dem er gut aufgestellt wäre, ihn dann zusammengefaltet und in eine Ecke gestellt. Im Internet sah er viel besser aus. Und wesentlich größer. Er ist viel zu klein, müsste breiter sein, ich bräuchte drei, nein, fünf davon, um auch nur ein bisschen Struktur in diese grelle Halle zu bekommen. Zu niedrig ist er außerdem, und zum Schreibtisch passt er überhaupt nicht, ich werde ihn verbrennen oder zerhacken oder unten im Keller verstecken, vergiss die vierhundertfünfzig Euro, die er gekostet hat. Vielleicht sollte ich stattdessen Vorhänge nehmen, einfach alle drei Meter einen riesigen Vorhang von der Decke bis zum Boden, das Internet ist sicher voller wunderbarer Gardinen, zwischen denen man sich vor zu viel Licht und Leere verstecken könnte, die das Licht und den Hall der Leere einfach schlucken würden. Wäre sogar Kunst, irgendwie. Aber das geht gar nicht so leicht, bei dieser abgeschrägten Decke mit den Fenstern darin. Ich könnte Adam anrufen und ihn bitten, mir einen Arbeiter der Baufirma vorbeizuschicken, die seine Häuser herrichtet, der Arbeiter könnte zwischen den Fenstern Wände einbauen in diesem Saal, zwei oder drei Wände, Türen darin, sodass kleine, übersichtliche Zimmer entstünden, die ich ertragen und einrichten könnte, und in denen ich mich nicht so verloren fühlte. In so einem Zimmer würde auch der Paravent nicht dermaßen winzig und zwecklos wirken.
Aber Adam hätte dafür kein Verständnis. Er wäre irritiert, nein, sauer, dass ich den schönen, klaren, sonnenhellen Raum ruiniere, den er mir geschenkt, in den er mich gestellt hat, dass ich scheinbar grundlos seine Weite zerstöre, er wäre enttäuscht von meiner Kleingeistigkeit. Er weiß ja nicht, wie nervös mich zu viel Platz macht, zu viel Raum, in dem ich wirken kann, zu viel Freiheit, die mich zu schlechten Gedanken verführt und schlechten Tagen. Es interessiert ihn auch nicht. Er will es gar nicht wissen. Er will mich so, wie er mich ausgesucht hat. Er will mich in einem weiten, sonnigen Raum sehen, also stellt er mich in einen solchen und erwartet, dass ich hineinpasse. Dass ich mich anpasse. Und das mache ich. Nein, ich passe mich nicht an. Ich tu nur so. Aber je eingeschränkter mein unmittelbares Umfeld, desto weniger kann passieren, desto weniger kann ich anrichten. Ich sollte auch nicht so viel Zeit haben. Seit beide Kinder im Kindergarten sind, habe ich entschieden zu viel Zeit. Jahrelang habe ich mich auf diese Zeit gefreut, auf diese paar Stunden am Tag, diese festgelegten, sicheren Stunden, die nur mir gehören würden, und darauf, ganz egoistisch über sie verfügen zu dürfen. Und am Anfang verfügte ich auch, ich arbeitete sogar. Aber jetzt werden sie mir zur Last. Jetzt tun sie mir nicht mehr so gut, diese vielen Stunden, nur ich mit mir, sie verführen mich.
Ich starre auf meine Beine und meine Füße in den schwarzen Overknees, die auf dem Schreibtisch liegen, neben meinem MacBook mit der offenen Facebook-Seite. Eine Wolke hat sich vor die Sonne geschoben, es ist trübe und grau jetzt. Ich sollte Moritz anrufen, aber ich telefoniere hier nicht gern, es hallt so, und wenn ich telefoniere, höre ich nur meine eigene, hallende Stimme und überhöre, was der andere sagt. Zudem würde Moritz die Lethargie aus meiner Stimme heraushören, und die Gefahr, die darin liegt, und er würde versuchen, mich herauszureißen, mich zu überreden, irgendetwas zu unternehmen, endlich wieder einmal schwimmen zu gehen, oder zum Yoga oder ins Museum, und ich will nicht. Ich will in meiner Lethargie verharren, ich will nur auf
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