Besser
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Sechsundzwanzig
Er wird wiederkommen. Du hättest ihm deine Telefonnummer nicht geben dürfen, warum hast du ihm deine Nummer gegeben, nie hättest du das tun dürfen. Aber du hast, in diesem Kaffeehaus, an diesem Nachmittag, in seinen Vorwurf hinein, seine Anklage. Aus schlechtem Gewissen hast du sie ihm gegeben, weil du mit einem Leben davon gekommen bist und er nur mit einer Existenz. Einer Existenz auf Bewährung. Weil du ihm Unglück gebracht hast. Du hättest nie das Telefon abheben sollen, als es klingelte, mit einer Nummer darauf, die du nicht kanntest. Du hättest nie mit ihm sprechen sollen, hättest einfach auflegen sollen und sofort deine Nummer ändern. Du hättest nie vor seiner Tür stehen dürfen, willenlos, mit einem Fuß schon zurück im Elend, nur zufällig gerettet von deinem kleinen Kind. Jetzt hat er dich gefunden, jetzt steht er vor deiner Tür, und er wird wiederkommen. Er wird, er hat nichts anderes zu tun, als wiederzukommen. Er hat nur dich, und er will dich zurück.
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Siebenundzwanzig
«Gehn wir noch auf einen Kaffee?»
«Oh ja. Ich bin immer noch nicht wach. Ah, da ist der Gruber. John, wir gehen auf einen Kaffee ins AnDo, kommst du mit?»
«Gern, muss nur noch Hannah im Kindergarten abliefern. Ich komme gleich nach. Geht ihr schon mal voraus?»
Gehn wir, die Stecher und ich. Wir gehen die Straße lang, der Morgenverkehr brüllt gegen uns an, und dann über den Markt. Die türkische Käsefrau grüßt mich und fragt, wie es den Kindern geht, ich grüße zurück und sage: gut. Die Stecherin sagt, sie hat Schädelweh, sie war gestern lange aus. Man sieht es. Sie hat die Kaufmann getroffen, die wohl eine Ansprache brauchte, offenbar eine sehr lange Ansprache. Ich würde die Stecher gerne fragen, ob es stimmt, dass die Kaufmann etwas nebenher laufen hatte, aber ich wage es nicht, und es gelingt mir nicht, sie dazu zu bringen, von selber davon anzufangen. Sie erzählt nur Sachen, die ich eh schon weiß, plus, dass die Kaufmann nun sichtbar blonder sei als noch vor zwei Wochen; Midlifecrisis auf frauisch, meint die Stecher. Ich erzähle ihr von meinem letzten Smalltalk mit der Kaufmann zwischen Kindergartentür und Angel, aber nichts Wichtiges und nichts von gestern.
Nichts von dem Abendessen, zu dem wir Sven und Felizitas und die Bergers eingeladen hatten. Anna und Karl Berger, die wir gar nicht so gut kennen, die aber sehr eng mit Sven und Feli sind, bei denen wir sie auch kennengelernt haben, und Adam hatte sich gleich mit Karl verstanden, der mit Asylwerbern arbeitet. Es war seine Idee gewesen, ihn und seine Frau einzuladen, ein freundliches, gelassenes Paar, das sich während des Essens immer wieder einmal berührte, nur ein Antippen, ein Streifen, liebevoll und selbstverständlich, nicht so überdeutlich, wie es die Kaufmanns immer gemacht hatten. Mir fiel nur auf, dass Anna ziemlich schnell trank, und mir entging nicht, dass Karl es registrierte, und wie sich, je länger der Abend dauerte, eine leise Disharmonie zwischen sie schlich, ein kaum spürbares Distanzieren seinerseits, gepaart mit einem ängstlichen Lauern, ob andere am Tisch es bemerken würden. Ich weiß nicht, ob die anderen es bemerkten, aber ich sah es. Ich erkenne so ein Problem, wenn ich es vor der Nase habe, und ich spürte, was es zwischen ihnen anrichtete. Sie haben Töchter im Teenager-Alter, und sie erzählten von den Problemen mit den Kindern. Ich hatte den Eindruck, Adam wollte sich Karl anschauen, ihn ein wenig auschecken, er legte am Tisch Wert darauf, dass Karl ihm gegenüber saß und fragte ihn dann den halben Abend über seine Arbeit aus. Mit was für Leuten er es zu tun habe. Wo die herkämen. Was es für Schwierigkeiten mit den Behörden gäbe. Woran es mangle. Was man tun könne, vor allem, was man tun könne. In letzter Zeit scheint Adam manchmal ein schlechtes Gewissen zu plagen, wegen seines unverdienten, ihm durch Herkunft und Glück zugefallenen Wohlstands, der sich ständig vermehrt, und ich spüre, dass er einen Weg sucht, dieses Gewissen zu besänftigen. Er sieht in Karl wohl einen Pfadfinder, der ihm diesen Weg zu weisen imstande ist. Der Altruismus wühlt in Adam, ich spüre es, und ich spüre auch, wie er sich politisiert in letzter Zeit, wie ihm nicht mehr egal ist, was außerhalb seiner wohlgeordneten Welt passiert. Er regt sich viel auf derzeit, liest mir beim Frühstück ganze Absätze aus der Zeitung vor, aus dem Politikteil, mit
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