Besser
sagte es noch einmal. Sie tut das immer, wenn sie verunsichert ist oder Angst vor etwas Unbekanntem hat: Der erste Tag im Kindergarten, die Schule anschauen, ein Wochenende ohne uns bei Adams Eltern, es macht sie nervös. Sie braucht Vertrauen zu den Dingen um sie herum, und wenn sie das nicht hat, braucht sie wenigstens die Bestätigung, dass man sie liebt. Dass ich sie liebe. Ich streichelte sie und kraulte ihr den Rücken und sagte ihr, dass ich sie noch viel, viel lieber habe, ganz unununglaublich schrecklich lieb, und ich sagte es ihr, so oft sie es hören wollte. Ich wollte es selber auch hören, allein deswegen, weil wir in der physischen Lage waren, es sagen, hören zu können, es war der akustische Beweis, dass wir alle noch da waren, alle hier miteinander, gesund und unversehrt in unserem sicheren Zuhause. Juri krabbelte zwischen uns herum und wollte gekitzelt werden, ich packte ihn mit meinem freien Arm, bedeckte ihn mit feuchten, schmatzenden Küssen und er quietschte empört, während Elena lachte. Ich dachte an Alenka in einem Edelstahl-Kühlfach und Adile in einem Edelstahl-Gitterbett mit lauter Fremden um sie herum und drängte die Tränen hinter ein Kichern zurück.
Jetzt schliefen die Kinder, und wir brauchten unser Entsetzen nicht mehr zu verstecken.
«Eine Ahnung? Nein. Also …» Und noch einmal erzählte ich die Geschichte von dem blauen Auge, das ich nicht erkannt, und von dem Streit, den ich auf der Straße beobachtet hatte, und noch einmal versuchte jemand, mir die Schuldgefühle zu nehmen. Aber Adam gelang es schlechter als der Polizistin. Ich sah ihm an, dass er nachdachte, dass er die Möglichkeiten hin und her wälzte, wie die Tragödie hätte verhindert werden können, und dass er auch bei sich nach Spuren von Mitschuld fahndete, nach den Beweisen von Ignoranz, wie er die Bedrohung, die Anzeichen der offensichtlichen Gefahr übersehen hatte.
«Ich kannte Mirkan doch schon so lange. Ich habe ihn nie als gewalttätigen Menschen empfunden», sagte Adam, «oder auch nur als aggressiv … eher unterwürfig.»
«Hm, ja», sagte ich. «Ich auch nicht. Aber passt doch eigentlich genau. Du warst ja quasi sein Chef. Der Stärkere. Mit dir hat er sich gut gestellt. Seine Aggressionen hat er an Schwächeren ausgelassen. Hat nach unten getreten.»
«Aber ich habe auch nie gesehen, dass er Alenka gegenüber aggressiv war.»
«Er fand wohl, das sei eine Sache zwischen ihm und seiner Frau. Dass das keinen was angeht.»
«Schaut so aus», sagte Adam resigniert, und dann sagte er nichts mehr, lag einfach grau auf der Bank und starrte an die Decke. Er wirkte verzweifelt. Ich wusste, dass er Mirkan gern gehabt und seine Arbeit im Haus sehr geschätzt hatte. Das, was Mirkan heute Alenka und Adile angetan hatte, stellte alles Vertrauen in Frage, das Adam je in andere Menschen gesetzt hatte und ließ ihn zweifeln. An seiner Menschenkenntnis, an allem. Es rüttelte an ihm. Ich wusste, dass er seine Erinnerung nach Anzeichen durchsuchte, an denen er Mirkans kommenden Verrat hätte erkennen müssen, die Anlass gegeben hätten, Mirkan das Vertrauen zu entziehen, und ich sah, wie sehr es ihn quälte, dass er nichts fand, nichts Relevantes, Eindeutiges, das Mirkan gesagt oder getan hätte. Es marterte ihn, dass Mirkan die Täuschung gelungen war und dass er Mirkans Veränderung, sein Verrücktwerden, übersehen hatte. Oder, was für Adam vermutlich noch schlimmer war, dass er sich zu wenig für seinen Hausmeister interessiert, dass das Herrschaftsverhältnis ihn blind und stumpf gemacht hatte für das, was in Mirkan tatsächlich vorging. Und für das, was Alenka wohl durchmachen musste. Sie hatten etwa einmal im Monat ein oder zwei Bier zusammen getrunken und besprochen, was es im Haus zu tun gab, und ansonsten hatte Adam ihm das kleine Gehalt überwiesen, das ihnen neben der mietfreien Wohnung noch zustand, und er hatte nicht kommen sehen, was kam.
Ich hatte Mirkan nicht gut gekannt, unser Verhältnis war, anders als mit Alenka, höflich und sachlich gewesen. Er war der stämmige, dunkle Mann Mitte dreißig, der gemeinsam mit seiner Freundin das Haus sauber hielt und sich um die Reparaturen kümmerte, der den Rasen im Hof mähte, den Kies auf dem kleinen Weg und im Herbst das Laub der Kastanienbäume zusammenrechte. Er war der, den ich angerufen hatte, wenn etwas in der Wohnung zu reparieren oder der Strom ausgefallen war, und er hatte die wenigen Aufträge, die er direkt von mir entgegengenommen hatte,
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