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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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Wochen?» Ja. Donnerstag vor exakt drei Wochen.
    «Ich glaube schon.»
    «Und was sagte sie?»
    «Sie sagte, sie hätte sich an einer offenen Schublade gestoßen. Ich habe ihr das geglaubt, ich hab nicht drüber nachgedacht. Die Kinder quengelten, ich war im Stress.» Ich war im Stress, aber wegen etwas anderem. Sehen müssen hätte ich es trotzdem. Das kapiert doch heutzutage jeder, so ein blaues Auge. Das gehört doch längst zum Kollektivwissen, dafür wurden wir doch über die Jahre von den Medien sensibilisiert auf häusliche Gewalt, Kindesmisshandlung, Missbrauch. «Das hätte ich doch kapieren müssen. Es ist meine Schuld.» Ich werde dich nie wiedersehen, Alenka, nie mehr.
    «Es ist nicht Ihre Schuld», sagt die Polizistin sanft. Das überrascht mich. Sie schaut jetzt weniger streng, fast mitleidig. Sie ist etwa in meinem Alter, hat ein herbes, aber irgendwie schönes, sehr symmetrisches Gesicht. Ich sehe ihr nicht an, ob sie Kinder hat. Eins vielleicht. Nein, eher keins.
    «Man hätte etwas unternehmen, es verhindern können. Man hätte ihr helfen können. Sie da herausholen. Ihn anzeigen.»
    «Ja. Vielleicht», sagt die Polizistin. «Aber vielleicht auch nicht. Sie hat keine Anzeige gemacht. Sie hätte es vielleicht abgestritten, aus Angst oder aus Scham, und man hätte erst recht nichts machen können und die Sache vielleicht noch verschlimmert. Es ist in solchen Fällen oft schwierig, einzugreifen. Es ist nicht Ihre Schuld.»
    «Er hat sie totgeprügelt.» Ich sehe Mirkan vor mir, wie er auf die am Boden liegende Alenka eintritt, mit voller Kraft. Die Polizistin wankt ein wenig zur Seite, auf die cremeweißgekalkte Mauer zu. Und wieder zurück. Konzentriert sich auf ihren Schreibblock. Dann schaut sie hoch und sieht mich mit ernsten, türkisblauen Augen an.
    «Er hat sie erstochen. Mit dem Küchenmesser. Hat x-mal auf sie eingestochen.» Sie schiebt weg, dass sie mir keine Auskunft erteilen darf. Sie will darüber reden.
    «Und die Kleine? War sie dabei, hat sie das mitangesehen?»
    «Ja. Vermutlich. Man kann es nicht mit Sicherheit sagen.»
    «Kann es sein, dass Adile geschlafen hat?»
    «Sie war nicht in ihrem Gitterbett.» Ich blicke durch das milchige Glas in den Hof hinaus. Die Spielgeräte zeichnen sich schwammig in der Scheibe ab, rot, gelb und blau. Mirkan hat sie zusammengeschraubt, und Alenka war mit Adile jeden Tag dort gewesen, jeden Tag.
    «Wann ist es passiert?»
    «Das muss schon heute früh gewesen sein. Die Leute, die darüber wohnen, hörten am Nachmittag das Kind schreien und gingen schließlich nachsehen, weil die Kleine überhaupt nicht mehr zu schreien aufhörte. Als niemand öffnete und sie weiterschrie, riefen sie uns an.»
    «Und Adile?»
    «Die Kleine war auf die Tote gekrabbelt. Sie war … von oben bis unten verschmiert mit dem Blut ihrer Mutter.»
    «Jesus.»
    «Ja». Die Polizistin hat Mühe, von dem blutigen, weinenden Kind, das sich an seine leblose Mutter klammert, wegzukommen, ich sehe es in ihren Augen. Sie hat doch Kinder. Mindestens eins.
    «Was ist mit Mirkan?»
    «Er wurde bereits verhaftet. Im Hinterzimmer eines Lokals. Es gab einen Tipp. Der Kollege hat es mir eben vorhin gemeldet.»
    «In welchem Krankenhaus ist Adile?»
    «Das weiß ich nicht. Ich kann mich erkundigen.»
    «Ich möchte sie zu uns nehmen, bis Sie ihre Tante finden. Zumindest vorübergehend. Adile kennt uns ein bisschen. Sie braucht doch jetzt irgendjemand Vertrauten um sich.» Ich habe Mühe, nicht zu weinen.
    «Wir werden die Schwester bald finden. Wir haben Frau Dzierwas Handy.»
    «Geben Sie mir Bescheid?»
    «Ich werde es versuchen. Sie könnten aber beim Jugendamt anrufen.»
    «Danke, das werde ich. Ich muss jetzt zu meinen Kindern.»
    «Wie alt?»
    «Drei und fünf. Bub und Mädchen. Haben Sie Kinder?»
    «Drei Töchter. Dreizehn, vierzehn und sechzehn. Furchtbares Alter.»
    «Danke, dass Sie es mir erzählt haben.»
    «Ja», sagt die Polizistin. «Und es ist nicht Ihre Schuld. Sie konnten das nicht vorhersehen.»
    «Ja», sage ich.

[zur Inhaltsübersicht]
    Vierunddreißig
    Aber es ist doch meine Schuld. Das Unglück bleibt immer in meiner Nähe. Es ist wie mit einer Schnur an mir festgebunden. Es kann jeden treffen, der nicht rechtzeitig auf Distanz geht, ich brauche nur eine unbedachte Bewegung zu machen, dann schlägt das Unglück hinter mir aus, trifft irgendwen, der zufällig neben mir steht, hinter mir. Jetzt Alenka. Und Adile. Ich fuhr mit dem Lift nach oben. Alenka, wie sie

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