Bestialisch
bernsteinfarben. Der Großstadtlärm schallte durch die von Menschen geschaffenen Straßenschluchten. Gleich neben der Hoteltreppe wartete ein Streifenwagen neben dem Bürgersteig. Ich saß noch nicht richtig, da fädelte sich das Fahrzeug schon in den brausenden Verkehr ein. Ich drehte den Kopf zum Fahrer: Koslowski. Mein Geruch veranlasste ihn, die Nase zu rümpfen, mir einen Blick von der Seite zuzuwerfen und das Fenster herunterzukurbeln.
»Wo befindet sich der Tatort?«, brüllte ich gegen die eingeschaltete Sirene an. Der Verkehr bestand hauptsächlich aus Taxis. Koslowski, der davon ausging, dass die Taxis ihm Platz machten, nahm den Fuß nicht vom Gaspedal. Und so war es auch – alle anderen Fahrzeuge preschten zur Seite.
»SoHo. Wenn ich Sie nicht in fünf Minuten dort abliefere, macht Waltz mich zur Schnecke.«
»Das kann ich mir bei Waltz gar nicht vorstellen.«
»O doch, das tut er, und zwar ohne Worte. Was eigentlich noch schlimmer ist.«
»Er ist ein interessanter Typ«, sagte ich in der Hoffnung, mehr Informationen über den Detective mit dem traurigen Blick aus Koslowski herauszuholen. »Was halten Sie von ihm?«
Statt einer Antwort fuhr Koslowski vor ein italienisch anmutendes Backsteindoppelhaus, in dessen Vorgarten ein ZU-VERKAUFEN-Schild stand. Am Bordstein parkten ein Streifenwagen und ein ramponierter Geländewagen mit dem Schriftzug NYPD-SPUREN-SICHERUNG auf der Tür, daneben das Fahrzeug des Gerichtsmediziners. Ein blauweißer Streifenwagen blockierte zwei Spuren, um die Schaulustigen fernzuhalten. Das Flackern des eingeschalteten Blaulichts verlieh der Straße eine gespenstische Atmosphäre. Ich sprang aus dem Wagen und hetzte zu dem Haus.
»He, Dixie«, rief Koslowski.
Ich wirbelte herum. »Was?«
»Sie haben mich doch gefragt, was ich von Shelly Waltz halte.« Er legte einen Gang ein. »Wenn überall auf der Welt Nacht ist und alle schlafen, fliegt Shelly Waltz auf einem silbernen Einhorn durchs Universum.«
»Wie bitte?«
Doch da fuhr Koslowski schon mit einem Affenzahn davon, und ich sah nur noch seine roten Rückleuchten immer kleiner werden. Kopfschüttelnd betrat ich das Gebäude. Ein Mann und eine Frau vom Büro des Gerichtsmediziners standen hinter der Eingangstür und öffneten einen Koffer. Sie waren aschfahl und wirkten ziemlich mitgenommen. Die beiden wiesen mir den Weg zu einem Schlafzimmer ein Stück den Flur hinunter. Der Geruch von Blut drehte mir den Magen um.
Zögernd trat ich in den Raum. Wie in den auf die Straße hinausgehenden Zimmern gab es auch hier keine Möbel. Shelly stand mutterseelenallein neben einer verhüllten Gestalt, die in der Mitte des Zimmers auf dem Boden lag. Man konnte zusehen, wie sich das weiße Tuch langsam rot färbte. Waltz rieb sich mit den Handflächen die Augen.
»Was gibt es, Shelly?«
Er schüttelte den Kopf und hob das Tuch. Ein nackter Frauenkörper. Mit weit aufgerissenen Augen starrte mich der Kopf aus der Bauchhöhle an. Ihr Haupt war eingerahmt von Blut, Faszie und gelbem Fettgewebe, das herausgequollen war, als der Täter den Kopf in die klaffende Öffnung gesteckt hatte. Ich prägte mir das Grauen ein, zählte stumm bis fünf und schloss die Augen.
»Schöne Scheiße«, befand Waltz.
»Schlimmer geht’s kaum«, bestätigte ich.
Waltz ließ den Tuchzipfel fallen, was einen kleinen Windstoß verursachte und Haare vom Boden aufwirbelte. Genau wie bei Vangies Tatort waren sie von unterschiedlicher Farbe und Beschaffenheit. Als ich mich umschaute, entdeckte ich sie überall: auf dem Fliesenboden, in den gerinnenden Blutlachen, auf dem Fensterbrett.
Im Flur ertönten schwere Schritte und Folgers lautes Organ. Wir drehten die Köpfe.
»Waltz? Sind Sie da hinten?«
Lieutenant Folger und ihre beiden Spießgesellen vom Morgen gesellten sich mit finsteren Mienen zu uns. Ihre Begleiter waren der Koloss Bullard und Abel Cluff, ein kleinerer, älterer Mann mit Glupschaugen und spitzem Wieselgesicht. Cluff schnaufte schwer, als wäre er in den fünften Stock gerannt. In Wahrheit musste man nur fünf Stufen erklimmen, um von der offenen Veranda hierher zu gelangen. Beide Männer trugen dunkle Anzüge und weiße Hemden. Da Bullards dicke Handgelenke fünf Zentimeter aus den Jackettärmeln herausragten, sah es so aus, als wäre er noch gewachsen, seit er sich den Anzug zugelegt hatte.
Das an uns vorbeirauschende Trio wich den Blutlachen und -schlieren aus. Cluff beugte sich hinunter und hob das Tuch an, das den Leichnam
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