Bestialisch
oder?«
Sie zwinkerte mir zu und zog sich dann in die Küche zu ihren brodelnden Töpfen zurück.
Harry drehte sich um und betrachtete ein paar Delphine hinter der letzten Sandbank. Ganz hinten am Horizont zog sich der Himmel zu. Eine Regenwand trieb schwarze Wolken über das Meer. Das Unwetter würde nach Osten ziehen und sich später auflösen.
»Hast du etwas von Jeremy gehört?«, fragte Harry, der immer noch aufs Meer hinausschaute.
»Kein Sterbenswörtchen. Er war lange genug in New York, um eine ganze Reihe von gepeinigten Seelen zu finden, die nur darauf warten, ihm zu Diensten zu sein. Solche Typen aufzulesen und zu beherrschen ist für ihn ein Kinderspiel.«
Harry wandte sich vom Wasser ab, schob die blau getönte Sonnenbrille hoch und schaute mir in die Augen. »Die Zeit war zugegebenermaßen zu kurz, um all das zu verarbeiten, aber ist dir aufgefallen, dass Jeremy allen immer einen Schritt voraus war?«
Ich trank einen Schluck und nickte. »Ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb. Und er kann unglaublich gut vorausplanen.«
»Sehr schön formuliert. Ins Rollen gekommen sind die Dinge, als er sich endlich dazu durchgerungen hat, Dr. Prowse die Wahrheit zu sagen.«
»Er hat die Vergangenheit lange für sich behalten, Harry. Irgendwann musste sie einfach raus.«
»Vielleicht war das ja nicht das Einzige, was rausmusste.«
»Was meinst du damit, Bruder?«
Harry zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Die Geschichte deines Bruders hat Prowse veranlasst, Informationen über Day einzuholen, damit sie ihm etwas anhängen kann. Jeremy hat sie manipuliert und überredet, ihn aus der Klinik zu schleusen. Anschließend hat er dafür gesorgt, dass sie das Video macht, weswegen du nach New York gerufen wurdest. Er hat Day im Camp Wilderness gefunden. Und was ist mit Sirius? Passt das nicht ganz hervorragend?«
»Ich kann dir nicht ganz folgen, Harry. Worauf willst du hinaus?«
»Ist doch interessant, dass die ganze Geschichte genau so abgelaufen ist. Vor wem musste Jeremy sich am meisten fürchten, falls ihm irgendwann die Flucht gelang? Vor Day. Und der ist jetzt tot.«
»Willst du damit andeuten, dass …?«
»Ich sage nur, dass dein Bruder anscheinend immer die Oberhand behält. Natürlich unter der Voraussetzung, dass sich die richtige Gelegenheit bietet und er genug Zeit zum Planen hat.«
Harrys Einschätzung ließ mich an die Worte denken, mit denen Day meinen Bruder beschrieben hatte: Jeremy ist unglaublich intelligent. Lässt man ihm genug Zeit, findet er sogar eine Möglichkeit, in den Haupttresorraum von Fort Knox zu gelangen.
Welches Ziel hat mein Bruder verfolgt?, überlegte ich. Rein oder raus?
Harry zeigte mit einer ausladenden Geste aufs Meer und Festland und meinte damit das ganze Land, die ganze Welt.
»Jeremy ist irgendwo da draußen, Carson. Dein Bruder ist blitzgescheit, anpassungsfähig und lernt jeden Tag mehr darüber, wie man das System überlisten kann. Bist du denn nie auf die Idee gekommen, dass es ihm in Wahrheit um die Flucht ging?«
Ich wollte ihm widersprechen, fand jedoch nicht die richtigen Worte. Alice schob die Tür auf und strahlte so sehr, dass die Sonne sich schämen musste.
»Na, habt ihr Lust auf ein richtiges Festmahl?«, fragte sie.
DANKSAGUNG
Wie immer möchte ich meiner Frau Elaine danken, die mir meine zahlreichen und ziemlich spontanen Trips von Kentucky an die Küste Alabamas nachgesehen hat, wo ich vordergründig hinfuhr, um zu schreiben und zu recherchieren, während ich in Wahrheit häufig beim Angeln zu finden war.
Besonderer Dank gebührt Mike Ward, Supervisor des Kentucky Medical Examiner’s Toxicology Laboratory, für seine anregenden Ideen und Aufklärung über mancherlei grässliche Substanzen. Seine Vorschläge habe ich mir bereitwillig zu eigen gemacht, und etwaige Fehler oder Missverständnisse sind allein mir geschuldet.
Bedanken möchte ich mich auch bei Julia Wisdom und Anne O’Brien von Harper Collins UK für ihre hervorragende Unterstützung und das erstklassige Lektorat.
Und zu guter Letzt möchte ich noch allen Mitarbeitern der Aaron M. Priest Literary Agency meinen Dank aussprechen.
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