Bestialisch
zu fliehen. Die Bilder, die mich heimsuchten, ähnelten sich stark: stöhnende Schatten, nur aus Zähnen bestehende Gesichter, ein hermetisch wirkendes Haus mit Fenstern, die sich nur weiter ins Haus hinein öffneten. Diese Träume hatten ihren Ursprung in meiner Kindheit.
Ich warf die Kissen und Decke aufs Bett, las das Laken auf, wickelte es um meinen nackten Körper und ging zur Tür. Falls die Dame vom Zimmerservice sich darüber wunderte, dass ihr ein Gast in einer Bettlaken-Toga öffnete, ließ sie sich das nicht anmerken. Ganz im Gegenteil – sie grinste, als würde sie mich kennen, griff nach der Zeitung auf ihrem Wagen und wedelte damit vor meiner Nase herum. »Is err.«
»Nein, danke.« Ich dachte, sie wollte mir die Zeitung geben. »Is err«, wiederholte sie, schlug die Zeitung auf und hielt sie mir vors Gesicht. »Is err berühmt.«
Ich schob die Zeitung weg und starrte die Frau an. »Wie bitte?«
»Aquí«, sagte sie und tippte mit dem Finger auf Seite drei. Dort waren ein Foto von mir und Waltz und ein kurzer Artikel abgedruckt.
Scheußliches Verbrechen in SoHo
New Yorks Polizei hält sich bedeckt über den Fund einer Frauenleiche, die mit aufgeschlitztem Bauch in einem leer stehenden Haus in SoHo gefunden wurde. Vielleicht erklärt der grauenvolle Tatort ja den Gesichtsausdruck von Detective Sheldon Waltz, der hier mit einem unbekannten Kollegen spricht …
Ich entsprach der Bitte der Hotelangestellten, signierte den Artikel und nahm ihr das Frühstückstablett ab. Mit Teller in der einen Hand und Gabel in der anderen ließ ich mich nackt auf dem Bett nieder und fiel über die zu kross gebratenen Eier und den wabbeligen Speck her. Vielleicht konnte das Frühstück das flaue Gefühl in meinem Magen vertreiben, das von dem Traum herrührte. Was hätte ich für eine Portion Maisgrütze mit Käse und Andouille gegeben! Anschließend duschte ich eine Viertelstunde lang und wünschte, daheim auf Dauphin Island zu sein, nur hundert Meter vom Golf von Mexiko, wo um diese Jahreszeit ein angenehm kühles und belebendes Klima herrschte.
Ich zog mich an und ging aufs Polizeirevier, das sich kein bisschen von allen anderen in der zivilisierten Welt unterschied: Die Mitarbeiter waren gereizt und redeten viel zu laut, der Geruch von verbranntem Kaffee und altem Schweiß hing in der Luft, Telefone klingelten unablässig, und die Schreibtische, auf denen sich Akten stapelten, waren eng zusammengepfercht. Waltz saß in einem verglasten Büro an der gegenüberliegenden Wand. Als ich in seinen Raum trat, hielt er eine Ausgabe des New York Watcher mit unserem Foto hoch.
»Die Stars haben der Presse heute Nacht anscheinend kein Futter geliefert. Sie sind fotogener als ich. Nehmen Sie doch Platz.«
Ich setzte mich. Waltz musterte mich mutlos. »Die Jungs von der Spurensicherung sind mit ihrem Latein am Ende, Detective. Erinnern Sie sich an die Haare auf dem Boden der Tatorte? Sie stammen von mehreren hundert Menschen. Männerhaare, Frauenhaare, unterschiedliche Ethnien. Und mehrere Dutzend Fasern. Das totale Chaos.«
»Wie bitte?«
»Sie haben ein paar Tests gemacht und sind nun der Meinung, dass der Mörder sich die Haare bei Friseuren und Schönheitssalons besorgt hat. Die Fasern können von überall her sein. Beweistechnisch ein totaler Albtraum.«
»Mann, Shelly, selbst wenn Sie in einem der Räume etwas gefunden hätten, mit dem man den Kerl identifizieren könnte …«
»Wären die Beweise unbrauchbar«, beendete Waltz den Satz für mich. »Kein Staatsanwalt, der noch halbwegs bei Verstand ist, würde damit vor Gericht gehen. Wirklich brillant. Wie viele Irre sind klug genug, sich so eine Nummer einfallen zu lassen?«
Ich wüsste da jemanden, dachte ich, doch glücklicherweise saß mein Bruder in einer Festung namens Alabama Institute for Aberrational Behavior für immer hinter Schloss und Riegel.
Waltz schob die Akten auf seinem Schreibtisch beiseite, stützte den Ellbogen auf die Tischplatte und zeigte mir ein Dokument, in dessen Briefkopf Büro des Gerichtsmediziners stand.
»Die vorläufigen Autopsieberichte. Wurden noch gestern Abend gemacht, und zwar gleichzeitig. Das haben Folger und ich durchgedrückt.«
Als ich die stichpunktartigen Informationen las, verzog ich das Gesicht. »Die Gebärmutter wurde entfernt?«
»Zusammengefasst kann man sagen, dass die Opfer eine Amateurhysterektomie erhalten haben. Ich war bei der Obduktion zugegen. Laut Aussage des Pathologen ist der Täter wie
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