Bestialisch
ein wütender messerschwingender Affe vorgegangen. Danach hat er den Kopf in die Wunde gesteckt.«
Das Bild, das vor meinem geistigen Auge auftauchte, war so widerwärtig, dass ich es wegdrückte.
»Du meine Güte! Hat die Spurensicherung irgendetwas Nützliches gefunden?«
»Die Haare und Fasern helfen uns nicht weiter, aber wir konnten das Opfer identifizieren. Dora Anderson, sechsunddreißig Jahre alt. Sie arbeitete für einen Immobilienmakler und wollte sich mit einem potentiellen Käufer treffen.«
»Nachts? Allein?«
»Das ist eine ziemlich noble Gegend. Wahrscheinlich hat der Mann am Telefon ganz freundlich geklungen, und sie hatte offensichtlich keine Angst vor ihm.«
Ein Täter, der einen Menschen zerstückeln und dennoch ganz normal erscheinen und auftreten konnte, war ein hundertprozentiger Psychopath, ein menschliches Chamäleon. Ich erschauderte und warf den vorläufigen Bericht auf Shellys Schreibtisch. Er fühle sich schmierig an, als hätte das Papier die Bestialität der Morde aufgesaugt.
»Ihnen ist klar, dass unser Täter Frauen hasst, oder? Und zwar mehr als alles andere?«
Er nickte. »Die Entfernung der Gebärmutter kann man mit einer Kastration gleichsetzen. Ich habe genug Mordfälle bearbeitet, bei denen Hass aufs andere Geschlecht das Motiv lieferte, doch so etwas Extremes ist mir noch nicht unter die Augen gekommen.«
»Shelly, da draußen braut sich ein richtiger Albtraum zusammen.«
Waltz’ Telefon klingelte. Er griff nach dem Hörer. Ich wandte den Blick ab und tat so, als würde ich nicht zuhören, während ich – wie alle anderen Menschen und vor allem Cops – die Ohren spitzte.
»Ich bin gerade mitten in einer … Sie ist in der Stadt? Der Polizeichef hat mich persönlich angefordert? Nein, das geht schon in Ordnung. Mir bleibt doch keine andere Wahl, oder? Hören Sie, wir haben hier einen Typen, einen Spezialisten für … äh … Menschen mit bösen Absichten. Geht es in Ordnung, wenn ich ihn mitbringe? Gut. Wir kommen gleich.«
Er legte auf. »Ich weiß, dass Sie zugehört haben, Detective. Wenn nicht, wäre ich schwer enttäuscht.«
»Wohin gehen wir denn?«
»In etwa einer Woche findet hier ein politischer Kongress statt. Weibliche Führungspersönlichkeiten aus dem ganzen Land werden daran teilnehmen. Ich habe versprochen, mich um die eingegangenen Drohungen zu kümmern und herauszufiltern, welche heiße Luft sind und welche man ernst nehmen muss.«
»Drohungen?«
»Die Hauptrednerin ist Cynthia Pelham.«
»Verdammte Scheiße«, flüsterte ich. Cynthia Pelham bewegte sich seit mehr als fünfundzwanzig Jahren auf der politischen Bühne. Ihr Siegeszug begann, als die County-Süßkartoffelkönigin nach vier Semestern an der Uni einen achtundfünfzig Jahre alten Senator aus Georgia heiratete.
Mit dreißig vertrat sie öffentlich Positionen zur Gleichbezahlung von Frauen und zum Mutterschaftsurlaub, die denen des Senators entgegenstanden. In der Zwischenzeit hatte sie ihr Jurastudium wieder aufgenommen. Sie hatte sich für ein Abendstudium entschieden, da sie sich tagsüber mit ihrem Süßkartoffellächeln am Arm des Senators vor den Kameras präsentieren musste.
Mit fünfunddreißig hatte sie ihr Diplom gemacht und den Senator verlassen. Nach einer aufsehenerregenden Scheidung verbreiteten die zahlreichen Verbündeten des Senators widersprüchliche Gerüchte: Cynthia Pelham war lesbisch, stieg mit jedem Mann ins Bett, der ihr über den Weg lief, nahm Drogen, soff oder stammte dem New York Watcher zufolge möglicherweise sogar von einem anderen Planeten. Ms Pelhams Freunde, die man damals an einer Hand abzählen konnte, meinten nur: »Sie wurde erwachsen.«
Mit vierzig vertrat Pelham im Kongress einen überwiegend ärmlichen Bezirk und tat dies mit solcher Inbrunst und Leidenschaft, dass es bei der nächsten Wahl keinen Gegenkandidaten gab. Da sie geschieden war, feministische Ideale hochhielt und über ihr Privatleben Stillschweigen bewahrte, hielt sich das Gerücht, sie wäre lesbisch, und ihre Dementis riefen Spott und Hohn hervor. Bald tauchten Websites und Blogs auf, wo sie entweder verunglimpft oder seliggesprochen wurde.
Jetzt, im Alter von zweiundfünfzig Jahren, hatte die Parteibasis die ambitionierte Kandidatin, die ihren Ehrgeiz nie verhehlte, davon überzeugt, sich um das Präsidentenamt zu bewerben. Trotz der tiefen Spaltung zwischen Parteisoldaten und Ideologen fand sie bei der Mitte der Gesellschaft so viel Zuspruch, dass die „Wetten auf ihren
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