Bestialisch
beharrt, dass Vangie ihn körperlich anwiderte, und sich im Lauf der Jahre eine ganze Reihe von Schimpfwörtern für sie einfallen lassen: Fotzenkönigin, Hurenärztin, Mösina, unsere liebe Frau des ewig wiederkehrenden Martyriums. Es wäre für ihn ein Kinderspiel gewesen, Vangie auf Distanz zu halten: Er hätte aufhören können, mit ihr zu reden, oder einen anderen Psychiater verlangen können. War es möglich, dass mein Bruder Vangie Prowse respektiert hatte? In seiner Welt war nur sie ihm intellektuell ebenbürtig gewesen. Waren seine endlosen Schimpftiraden und Beleidigungen nur Theater gewesen?
»Als du Vangie von Day erzählt hast«, sagte ich, »wollte sie ihn suchen gehen, oder?«
»Mit Typen wie ihm kannte sie sich aus. Sie rechnete damit, dass er mit dem Töten, das er als seine Lebensaufgabe ansah, nicht aufhören konnte. Sie wollte alles über ihn erfahren, woran ich mich erinnerte, jedes noch so unbedeutende Detail. Zum Beispiel dass seine Mutter Jim gesagt hatte, sein Vater stamme aus New York. Irgendwann gelangte sie zu der Überzeugung, dass er nach New York kommen musste, damit sich sein Schicksal erfüllte. Er würde nach New York gehen, wenn er Manns genug, wenn er bereit dafür war.«
»Und damit hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen«, meinte ich.
»Das muss man der guten alten Prowsie schon lassen: Was Mütter und Väter betraf, blickte sie echt durch.«
Ich schüttelte den Kopf. »Leider war ihr nicht klar, dass man seine Spuren verwischen muss, wenn man auf* eigene Kappe Nachforschungen anstellt.«
»Die Prowse hat einige von Jimmys sabbernden Verwandten aufgetrieben, und Jimmy wurde zugetragen, dass sich eine Ärztin in Alabama, der alten Heimat, nach ihm erkundigte. Wie du dir denken kannst, fand er das gar nicht lustig.«
»Day fuhr nach Süden und ist in Vangies Haus eingebrochen.«
Jeremy nickte. »Und ist dort Prowsies nettem, kleinem Geheimnis auf die Spur gekommen.«
»Womit konnte er sie unter Druck setzen?«, fragte ich ihn.
Er rollte sich auf den Bauch und stützte das Kinn auf die Hände. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. »Du willst wissen, warum sie moi freigelassen hat? Warum sie hierhergekommen ist? Wieso wir in einem Hotel unweit von Chelsea gewohnt haben? Wie das Geheimnis lautet, das sie Kopf und Kragen gekostet hat? Du hast keinen Schimmer, was?«
»Nein. Woher denn auch?«
Da brach er in schallendes Gelächter aus.
*
Shelly Waltz zog seine Schreibtischschublade auf und holte ein Röhrchen mit einem blutdrucksenkenden Mittel heraus. Eigentlich sollte er jeden Morgen eine Tablette nehmen, zusammen mit sechs anderen Medikamenten, doch seit zwei Wochen brauchte er abends auch eine. Ein Ziehen im Nacken und ein leises Ohrensausen verrieten ihm, wie es um seinen Blutdruck bestellt war.
Er nahm die Tablette ein, spülte sie mit einem Schluck Kaffee hinunter und spähte in das Großraumbüro der Detectives, wo es ziemlich ruhig war. Die meisten seiner Kollegen waren unterwegs und drehten auf der Suche nach Folger jeden Stein um.
In einer der Arbeitsnischen raschelte Papier. Cluff, der nur die Arbeit kannte, beugte sich über ein Ende seiner Rolle. Das andere lag auf dem Boden. Cluff bediente sich dieser Methode schon so lange, dass es niemanden mehr verwunderte.
Waltz ging zu ihm hinüber und lehnte sich an die graue Trennwand.
»Was gibt es, Detective?«
»Ach, ich streiche nur ein paar weitere Sackgassen«, stöhnte Cluff und breitete das Papier über ein paar abgegriffene Aktenhefter. Was will er da vor mir verbergen?, überlegte Waltz.
»Was ist mit den Akten?«, fragte Waltz ihn geradeheraus.
Cluffs haarige Ohren liefen rot an. »Nichts. Nur ein paar lose Enden.«
Waltz schob das Papier beiseite. »Dann stört es Sie ja nicht, wenn ich da mal einen Blick reinwerfe, oder?«
Cluff lehnte sich nach hinten und machte ein Geräusch wie eine Dampflok, die zum Stehen kommt – seine Version eines Seufzens. »Reine Zeitverschwendung. Das sind nur ein paar angestaubte Akten von verschiedenen Einrichtungen.«
Waltz überflog die Seiten. »Sieh mal einer an … alte Aufnahmeformulare vom Jugendamt in Newark und der Bridges-Jugendstrafanstalt. Ich dachte, der Lieutenant hätte das fallen gelassen, damit wir uns bei der Ermittlung auf …«
Cluff winkte ab. »Ja, ich weiß. Wir suchen einen Irren in einem Armani-Anzug, der im Four Seasons speist und in einem Penthouse in der Park Avenue wohnt. Ich kann mich nicht mehr so lange auf den Beinen halten
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