Bestialisch
besser nicht lang, sondern knallen ihn einfach ab.«
Und wir werden sie trotzdem finden, dachte Waltz. Selbst wenn Ridgecliff drauf gebt, wird Ryder Alice finden.
KAPITEL 38
Als Jeremy zurückkam, hatte er sich der Perücke entledigt, das Make-up abgewaschen und die Kontaktlinsen herausgenommen. Obwohl sein Teint immer noch ungewöhnlich dunkel war, sah er jetzt wieder wie mein Bruder aus.
»Und … wo waren wir? Ach ja, bei …«
Ich fiel ihm ins Wort. »Lass uns über dein erstes Opfer sprechen, Jeremy.«
Er drehte sich um und begann, auf und ab zu gehen, getrieben von einem inneren Feuer, das ich nicht kannte. Die Kerzenflammen zitterten, als er an ihnen vorbeilief, die Hände zu Fäusten ballte und wieder öffnete. Ich trat vor ihn und versperrte ihm den Weg. Legte die Hände auf seine Schultern und drückte ihn an meine Brust.
Eine ganze Minute lang ließ er sich von mir umarmen, als fände er so sein seelisches Gleichgewicht wieder. Dann legte er sich auf den Orientteppich, starrte an die weiße Decke und überlegte lange, ehe er fortfuhr.
»Ich sollte es tun, sie befreien. Ich ging in den Raum, nahm das gottgeweihte Messer in Empfang, näherte mich der Frau, und dann versagten mir meine Beine den Dienst.«
»Den Dienst?«
»Ich kippte aus den Latschen. Ging zu Boden.«
»Du konntest sie nicht töten?«
»Ich habe es fünfmal versucht.«
Fünfmal? »Lief das immer so?«
»Ich konnte zwar wieder aufstehen, aber jedes Mal wenn ich mich ihr nähern wollte, fiel ich um.«
Ich stellte mir vor, wie die Frauen nackt und in panischer Angst auf dem Boden lagen und trotz des Knebels zu schreien versuchten. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie mein Bruder mit der Waffe in der Hand auf sie zuging, weiche Knie bekam und sich hilflos am Boden wand.
»War Day auch da?«, fragte ich ihn. »In dem Raum?«
»Aber sicher doch, Carson. Schließlich war das ja seine Party.«
»Was hat er getan?«, wollte ich wissen.
»Mit meiner Feigheit hatte ich das Messer entweiht. Er ging damit ins Badezimmer und reinigte es unter laufendem Wasser. Und dann kam das saubere und funkelnde Messer zurück, bereit, seinen Auftrag zu erfüllen. Das Messer kam immer zurück.«
Das Messer betrat den Raum …
»Und was hast du getan, Jeremy? Während Day die Frauen abschlachtete?«
»Ich habe zugeschaut, musste mich irgendwann übergeben und bin weggekrochen.«
»Du hast nie …«
Er legte die Hände auf die Augen und verharrte regungslos auf dem Boden. Ich stellte mich vors Fenster und blickte nach draußen. Die Menschen dort unten führten ein ganz normales Leben, hatten keine dunklen Geheimnisse, litten nicht im Verborgenen unter Katastrophen, wurden nicht auf Schritt und Tritt von dunklen Schatten verfolgt.
Ich drehte mich zu meinem Bruder um. »Irgendwann hast du Vangie eingeweiht. Ihr die ganze Geschichte erzählt.«
»Jedes Detail, Carson. Alles, woran ich mich erinnern konnte.«
»Weil Vangie deine Psychoanalytikerin war.«
Er nahm die Hände von den Augen. »In der Klinik war sie für mich nur eine Aufseherin, die mit wilden und kaputten Typen arbeitete. Mit Leuten, die glaubten, teuflische Hunde würden ihren Verstand fressen. ›Du bist anders, Jeremy‹, hat mir Prowse jahrelang eingetrichtert. ›Wenn du mir nur erlauben würdest, über die letzte Schwelle zu treten, Jeremy.‹«
»Und das hast du ihr dann nach all den Jahren endlich erlaubt.«
»Ich hatte es satt, mich zu verstecken.« Er rieb seine Augen, als wäre er todmüde. »Ich sagte, ich würde mit ihr sprechen, wenn sie mich wie einen normalen Patienten und nicht wie einen von diesen Wilden behandelt. Ich bat sie, mir ein Telefon zu besorgen, und dann unterhielten wir uns regelmäßig.«
»Ihr habt euch – wenn ich es mal so formulieren darf – immer samstags getroffen.«
»Von eins bis drei. Sie saß an ihrem Schreibtisch in Gulf Shores, und ich lag mit dem Telefon auf meinem Bett und erzählte ihr alles.«
»Harry hat ein Foto von dir gefunden, das bei ihr an der Wand hängt.«
»Sie wollte ein Foto anschauen, wenn wir miteinander sprachen. Auf diese Weise wurde es persönlicher und die Distanz geringer. Ich habe meine Seele entblößt, Carson, und wollte, dass das Foto dies widerspiegelt, dass sie mich nackt sieht, mit meinem Ding und meinen Eiern. Ich habe sie gezwungen, mir zu versprechen, dass sie das Foto so aufhängt, als würde ich vor ihr sitzen und meine Geschichte erzählen. DER ENTBLÖSSTE JEREMY.«
Jeremy hatte stets darauf
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