Bestialisch
können.«
Jeremy drückte mir das Taschentuch auf den Mund und schaute in die andere Richtung, als wäre ich gar nicht da. Der Stoff wurde eiskalt. Beißende Schwaden drangen in meine Kehle, in meine Nasenlöcher. Jeremy wich zurück. Kam es mir nur so vor, oder bewegte er sich tatsächlich im Zeitlupentempo?
Day fing an, meinen Bruder zur Schnecke zu machen. Wie bei einem Radiosender, der nicht richtig eingestellt ist, verstand ich nur die Hälfte dessen, was er sagte.
»Wir hätten … gemeinsam Geschichte machen können, Jerry … mit deinem Verstand und meinem …«
»Ich war müde, Jimmy … ich konnte einfach nicht mehr …«
»… sie hassen uns … sie brauchen eine Lektion … mit dem Messer … Rache für das, was sie …«
Jeremy wandte sich ab, legte eine Hand auf den Bauch, die andere auf den Mund und begann zu würgen.
»… übers Töten … reden … wird schlecht … muss mich übergeben.« Er beugte sich nach unten, hielt sich den Bauch.
Day schlug Jeremy mit voller Wucht auf den Kopf, woraufhin mein Bruder in die Knie ging. »… Frauen haben aus dir einen … kotzenden Schwächling … kleine Schwuchtel gemacht … bringe dich um, und vielleicht nimmst du es … wie ein Mann.«
Day zog ein Filetiermesser aus seinem Gürtel, grätschte sich über meinen Bruder, packte sein Kinn und drückte seinen Kopf nach hinten.
»… nimm den Tod … wie ein Mann. Daddy erwartet … dass du wie ein Mann stirbst. Das Messer will, dass du …«
Jeremy presste die Hände zusammen. Ich glaubte schon, er würde kurz vor seinem Tod noch einmal beten, doch er stieß sie in Days Gesicht. Schnell und hart stieß er zu. Day stolperte nach hinten, drückte die Hand auf sein rechtes Auge und jaulte auf wie ein verwundetes Tier. Das Messer fiel zu Boden. Day ging in die Knie.
Ich wollte etwas sagen, brachte jedoch nur ein Stöhnen über die Lippen. Jeremy kniete sich neben mich, hob mich hoch, als wäre ich ein Kind, und trug mich vorsichtig zur Couch hinüber. Ich warf einen Blick über seine Schulter. Day presste die Hände vors Gesicht, Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Da die Wirkung des Giftes langsam nachließ, konnte ich wieder klarer sehen und Days Gesicht genauer unter die Lupe nehmen. Unter Days linkem Auge ragte ein sechs Zentimeter langes Stück Holz heraus. Jeremy hatte seinen Holzspieß unter dem Hemd versteckt, und darauf war Days Metalldetektor nicht angesprungen. Graue Gehirnmasse sickerte durch Days Finger. Inzwischen hatte er sich auf die Seite gedreht und machte Geräusche, die eher zu einem greinenden Kind passten als zu einem verwundeten Tier. Wir warteten, bis Jim Day sich nicht mehr rührte.
Und dann geschah etwas total Irres: Aus Days Leichnam drang das Zirpen einer Grille. Vom Gift immer noch leicht benommen, begriff ich nicht, woher das Geräusch kam.
Wieder ertönte das Zirpen.
»Das ist sein Handy, Carson«, meinte Jeremy, zog das Telefon aus Days Tasche und klappte es auf. Das Display zeigte einen stark verpixelten Film. Menschen liefen durch einen Gang. Ich hörte Gelächter. Der Fokus wurde auf eine Gruppe von mehreren Personen gerichtet, die sich um Shelly Waltz scharten. Die Kamera machte einen Schwenk, und wir hörten lautes Geschrei.
Das, was wir da sahen, war kein Amateurfilmchen, sondern ein mit einem Handy aufgezeichnetes Video vom Kongress. Der Tunnel endete vor einer großen Halle. Weiße Kreise tauchten auf. Es dauerte einen Moment, bis wir erkannten, dass das Hüte waren, auf denen WÄHLT PELHAM stand.
Jeremy spähte über meine Schulter und betrachtete die Bilder, bis das Display schwarz wurde.
»Daddys neuer Sohn schickt Postkarten von seinem Ausflug«, meinte mein Bruder. »Der Bursche hat anscheinend alle Hände voll zu tun.«
KAPITEL 42
»Shelly, ich bin in Spanish Harlem und muss unbedingt auf den Kongress«, sprach ich mit klopfendem Herzen in mein Handy. »Pelham wird irgendetwas Schlimmes zustoßen.«
»Sie muss jeden Moment hier im Hotel eintreffen. Unten am Eingang wartet schon eine ganze Schar Wachmänner, um sie in Empfang zu nehmen. Hier wimmelt es nur so von Bullen und technischen Spezialisten. Diese Jungs kontrollieren alles, angefangen von den Tischen bis hin zum Podium. Was soll da denn schiefgehen?«
»Vor einer Minute haben Sie sich mit mehreren Personen in einem Gang unterhalten und dabei ziemlich besorgt aus der Wäsche geschaut. Alle Leute in Ihrer Nähe trugen weiße Hüte.«
Meine Worte verblüfften ihn so sehr, dass er kurz
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