Bestialisch
auf, und Days Wagen fuhr hinein.
»Wir steigen hier aus, Ludis«, sagte Jeremy.
»Nein«, entgegnete ich. »Wir warten lieber und überlegen uns eine …«
Da war Jeremy schon aus dem Taxi gesprungen und sprintete über die Straße. Fluchend stieg ich aus und folgte ihm um eine Hausecke. Mein Bruder zwängte sich durch einen kaputten Maschendrahtzaun, blieb auf einem von Unkraut überwucherten Areal stehen und inspizierte das Lagerhaus. Mir fiel eine Überwachungskamera auf, die ein gutes Stück weiter vorn an der Hauswand hing. Kurz darauf sah ich, dass auf der Hausecke noch so ein Ding war.
»Jeremy«, zischte ich. »Kameras.«
Jeremy, der etwas weiter drüben stand, nickte, winkte und kroch zu einer Laderampe mit kaputten Paletten. Dabei ließ er das Gebäude keine Sekunde aus den Augen. Ich rannte ihm hinterher. Vorsicht hin oder her, ich wollte nur von hier verschwinden. Mein Bruder spähte um die Ecke, um sich das Lager von hinten anzusehen.
»Jeremy, komm schon. Day könnte uns sehen.«
»Eine Sekunde noch. Ich will nur wissen, ob es auf der Rückseite auch eine Tür gibt.«
»Komm endlich. Wir müssen abhauen und uns überlegen, wie wir …«
Er schaute in die andere Richtung. »Wie wir was, Carson?«
Ich konnte ihm nicht antworten, denn ich blickte in die Augen von Jim Day.
*
Detective Abel Alphonse Cluff saß in seinem Büro, hatte die Papierrolle beiseitegeschoben und musterte die beiden Aktenordner auf seinem Schreibtisch. In einem Ordner waren Computerausdrucke von allen Fällen, die Dora Anderson in den zwei Jahren als Mitarbeiterin des Newarker Jugendamtes betreut hatte, im anderen lagen die Aufnahmeformulare von den Kandidaten, die im selben Zeitraum der Bridges-Jugendstrafanstalt überantwortet worden waren. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen, hätten diese Akten noch gar nicht auf Cluffs Tisch liegen dürfen, doch im Lauf der fünfundzwanzig Jahre, die er nun schon dem NYPD angehörte, hatte er sich ein Netzwerk geschaffen, das ihm die Informationen schneller lieferte, als wenn er sich auf die offiziellen Kanäle verließ.
Er betrachtete die Ordner und seufzte. Seite um Seite nichts als Namen.
»Das bringt doch alles nichts«, stöhnte er und wünschte, er könnte jetzt draußen sein und sich mal wirklich nützlich machen.
KAPITEL 41
Day war ums Haus geschlichen und hatte sich von hinten an uns herangemacht. Mit seiner,45er scheuchte er uns in das Gebäude. Der erste Raum mit Betonboden und Zielscheiben an der gegenüberliegenden Wand diente ihm als Schießstand. Hier roch es stark nach Waffenöl und Schießpulver. Der hintere Bereich war mit einem Heimtrainer, Hanteln, einem Sandsack und einem Speedball bestückt. Hinter der Stahltür tickte Days Wagen leise, während der Motor abkühlte. Die Wände waren sechzig Zentimeter dick und die Fenster zugemauert, um Einbrecher abzuhalten. Dieses festungsähnliche Gebäude fügte sich nahtlos in das Bild ein, das ich mir in den letzten Stunden von Jim Day gemacht hatte.
»Ich möchte, dass Sie die Hände hochnehmen und an die Wand legen«, sagte er ganz lässig.
Dann schob er meine Füße weiter nach hinten, griff in eine Metallkiste neben der Tür und holte einen kleinen Metalldetektor heraus, der piepte, als er die Glock unter meiner Jacke, den kleinen Colt an meinem Fußknöchel, mein Taschenmesser und das Münzgeld lokalisierte.
Er überflog meinen Ausweis. »Na, da hat sich aber jemand ganz schön weit von seinem eigentlichen Einsatzort entfernt. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was für Geschichten Jeremy Ihnen erzählt hat. Nicht dass das jetzt noch etwas ändern würde.«
Danach kontrollierte er meinen Bruder mit dem Detektor, der nur piepte, als er über dessen Gürtelschnalle und Hosentasche fuhr. »Ausleeren«, befahl Day.
Jeremy fischte zwei Vierteldollarmünzen, ein Zehncentstück und zwei Krügerrands hervor. Das Kleingeld warf Day einfach weg, das Gold steckte er ein. Mein Bruder wich langsam vor ihm zurück.
»Ähm, Jeremy. Ich will, dass du die Beine spreizt.«
»Wie bitte, Jim?«
»Du weißt schon. Ein Fuß nach links, den anderen nach rechts. Einen nach dem anderen, und zwar ganz langsam.«
Der Metalldetektor piepte, als Day mit ihm Jeremys linken Fuß kontrollierte. »Zieh den Schuh und die Socke aus«, forderte Day.
Unter Jeremys Spann befand sich ein kleines Messer in einer dünnen Plastikscheide. Im Grunde genommen handelte es sich dabei um eine Rasierklinge mit einem Griff – in den richtigen
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