Bestialisch
verklickert, Folger hätte wieder einen von diesen weiblichen Momenten, die unsereiner ja nicht kennt. Würden Sie ihr bestellen, dass sie bitte, bitte, bitte morgen um zehn dort auftaucht, falls ihre Regelblutung das zulässt?«
Bullard stapfte von dannen.
»Kommt es öfter vor, dass der Lieutenant einen Termin verpasst?«, fragte ich Waltz.
»Nicht Alice Folger«, meinte er und runzelte die Stirn. »Das ist mir noch nie zu Ohren gekommen.«
Ich schloss die Tür. »Folger und ich haben uns neulich Abend unterhalten, Shelly. An ihrer Tür waren Kratzer. Sie bildete sich ein, sie hätte vor dem Fenster ein Gesicht gesehen. Und seit ein paar Wochen hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, ohne das beweisen zu können.«
»Sie und Folger unterhalten sich?«
»Ja, neuerdings sieht sie mich nicht mehr ganz so kritisch.«
»Cluff ist in Tribeca und zeigt dort Ridgecliffs Foto herum. Ich rufe ihn an und sage ihm, er soll zu Folgers Wohnung fahren. Möglicherweise hat sie verschlafen.«
Waltz schaltete den Telefonlautsprecher an, damit ich zuhören konnte.
»Cluff.«
»Shelly Waltz am Apparat. Wissen Sie, wo der Lieutenant wohnt?«
»Sicher«, sagte Cluff. »Ich war doch auf ihrer Weihnachtsparty. Dauert von hier aus nur fünf Minuten bis zu ihr. Warum?«
»Sie hat heute Morgen einen Termin verpasst. Ich möchte, dass Sie …«
»Bin schon auf dem Weg«, sagte Cluff und legte auf.
Aus unerfindlichen Gründen beschlich mich ein ungutes Gefühl, und Waltz wirkte noch unglücklicher als sonst. Ich bemühte mich um Smalltalk.
»Wie läuft es im Pelham-Fall?«
Er streckte drei Finger hoch. Es dauerte eine Sekunde, bis ich begriff, was er mir sagen wollte.
»Jetzt sind es drei Puppen?«, fragte ich.
»Gestern kam wieder eine. Kein Mund, keine Fingerabdrücke, gar nichts.«
»Wie viele gehören zu einem Satz?«
Er zuckte mit den Achseln. Offenbar interessierte ihn das Thema im Moment nicht. »Fünf oder sechs.«
Ich wischte meine feuchten Handflächen an der Hose ab und warf einen Blick auf meine Uhr. Als ich aufschaute, merkte ich, dass Waltz dasselbe tat. Sechs Minuten waren verstrichen. Sieben.
»Cluff müsste inzwischen dort sein«, meinte Waltz. »Ich rufe ihn mal an und frage …«
Das Telefon läutete. Noch ehe der erste Klingelton verhallt war, hatte Waltz abgenommen. Der Mann hatte die Reaktionszeit einer Kobra. Cluffs keuchende Stimme drang aus dem Lautsprecher.
»O Gott, Shelly … hier hat ein Blutbad stattgefunden. Sie … liegt auf dem Boden. Ich habe den Notarzt gerufen, aber … Folger ist tot, Shelly. Zerstückelt.«
KAPITEL 24
Innerhalb von wenigen Minuten erreichten wir Folgers Straße und hielten im Laufschritt auf die Haustür zu. Der Kombi des Gerichtsmediziners kam die Straße hochgefahren; der Notarzt war schon da. Cluff stand kopfschüttelnd vor der Tür. Seine Stimme klang ziemlich gequält.
»Als ich herkam … stand die Tür zwei Zentimeter weit offen. Ich habe gerufen, und als ich keine Antwort bekam, bin ich reingegangen und habe …«
Ich steckte den Kopf durch die Tür. Blut. Auf dem Boden. An den Wänden. Selbst die Luft roch danach. Ich entdeckte Folgers Körper auf dem Boden. Ihre Kleidungsstücke waren verknittert, ihre Beine gespreizt und von Blutspritzern übersät. Der Kopf war noch dran, aber der Täter hatte seiner Wut Luft gemacht und sie schwer mit dem Messer traktiert. Ihr verunstaltetes Gesicht zeigte Richtung Tür. Das Blut hatte ihre Zähne rosa gefärbt, und ihr offenstehender Mund verriet, wie sehr sie gelitten hatte.
Wir konnten nichts mehr für sie tun.
»Weg da«, rief eine Stimme. »Wir müssen da durch.«
Zwei Mitarbeiter von Büro des zuständigen Gerichtsmediziners drängten in den Raum. Der eine zog im Laufschritt ein unbenutztes Thermometer aus der Verpackung. Als er es unter den Rippen in Folgers Leber steckte, schnitt ich eine Grimasse. Die Temperaturmessung half ihnen bei der Bestimmung des Todeszeitpunktes.
Shelly, der neben mir stand, wäre am liebsten zu Folger hinübergerannt, doch sein Cop-Instinkt hinderte ihn daran. Bevor wir uns an die Arbeit machten, mussten die Jungs von der Gerichtsmedizin ihren Part erledigen. Er holte stoßweise Luft. In meinen Ohren klang das, als würde er hyperventilieren.
»Bewahren Sie Ruhe, Shelly.«
»Ich stoße langsam an meine Grenzen«, flüsterte er, und als ich mich zu ihm umdrehte, sah ich, dass er aschfahl war und ins Leere starrte.
»Shelly? Sind Sie okay?«
Er verdrehte die Augen und
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