Bestialisch
nachkam, hörte sie, wie hinter ihr eine Diele knarrte. Dem Geräusch nach zu urteilen, ging er in die Hocke und betrachtete sie von unten. Nach einer Minute, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, baute er sich vor ihr auf, zog eine braune Tüte aus der Tasche, beugte sich hinunter, um die Kleidungsstücke vom Boden aufzulesen. Dann hielt er inne und runzelte die Stirn. Er sah sich in dem Raum um, entdeckte in der Ecke einen Besen und holte ihn. Mit dem Stiel schob er die Sachen in die Tüte, knüllte sie zu und beäugte ihren Schritt.
»Bedecken Sie sich. Der Geruch macht mich krank.«
»Darf ich meine Hose anziehen?«
»Tun Sie das oder legen Sie sonst was auf Ihr … Ding.«
Folger, die vor Erleichterung beinah geseufzt hätte, zog mit zitternden Fingern ihre Hose an.
*
Im Hotel tastete ich mein Sakko nach der Schlüsselkarte ab, die ich anscheinend verloren hatte. Ich erinnerte mich, wie ich mir einen Kaffee besorgt und dabei die Jacke ausgezogen hatte. Vermutlich war die glatte Plastikkarte bei der Gelegenheit aus der Tasche gerutscht.
Ich hatte mein Jackett über einen Stuhl geworfen, während ich auf meinen Kaffee wartete. Ein Dieb hätte sicher die Jacke geklaut und nicht nur die Karte. Bestimmt lag sie unter dem Stuhl, aber ohne Zimmernummer war sie ohnehin unbrauchbar.
Was soll’s, dachte ich, ging zum Empfang und ließ mir eine Ersatzkarte ausstellen.
Völlig verstört von den Ereignissen, verschanzte ich mich in meinem Zimmer und überlegte, wieso Jeremy es auf Folger abgesehen hatte. Der Vorfall ließ nur eine Schlussfolgerung zu: Jeremy war mir gefolgt, hatte Folger gesehen und war ausgerastet.
Und weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass er mir nachstellen würde, trug ich dafür auch die Verantwortung.
Was hatte er mit Folger vor? War sie bereits tot? Und wieso hatte er ihre Untermieterin auf so bestialische Weise ermordet? Wie es aussah, hatte auch sie etwas bei ihm getriggert.
Jeremy hatte sich zunehmend weniger im Griff.
Da ich mich nach Gesellschaft und Zerstreuung sehnte, schaltete ich den Fernseher ein und drehte den Ton ab. Die stummen Bilder lenkten mich von den grauenvollen Gedanken und Schuldgefühlen ab, die mich quälten. Ich sah einen Bericht über Cynthia Pelhams Wahlkampagne und die Empörung, die ihre Ansichten hervorriefen. Die Mienen der aufgebrachten Menschen, die ihrer Wut Luft machten, wirkten stummgeschaltet noch beängstigender als mit Ton. Ich schaltete den Flimmerkasten aus, zog die Vorhänge zu und legte mich im Dunkeln aufs Bett.
Nach einer Weile spürte ich eine undefinierbare Präsenz, die ich nicht einzuordnen vermochte, einem Ton tiefer Frequenz vergleichbar, den man kaum mehr hört. Das einzige Licht im Raum stammte von den roten LED-Ziffern des Weckers. Ich spitzte die Ohren, bis ich einschlief.
Nach einer Weile schlug ich urplötzlich die Augen auf. Hatte ich geschnarcht? Das Herz schlug mir bis zum Hals. Warum nur? Ich schaute zum Wecker hinüber, konnte die Uhrzeit allerdings nicht ablesen. In meinem Zimmer war es so dunkel wie in einem Grubenschacht. Ob ich die Augen offen hatte oder schloss, machte eigentlich keinen Unterschied.
Wieder spürte ich eine Präsenz im Raum.
Jemand steht neben dem Bett , fürchtete das Kind in mir.
Da ist niemand, erwiderte mein erwachsenes Ich. Das hast du dir schon öfter eingebildet und dich jedes Mal getäuscht.
Er kommt näher, keuchte das Kind . Er ist über uns!
Mit angehaltenem Atem rüstete ich mich für den Angriff von einem Wesen, von dessen Existenz ich nicht überzeugt war. Mit einem Mal spürte ich … wie sich etwas vorsichtig bewegte. Und hörte ein furchterregendes Flüstern, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein hasserfülltes Wispern, das mir fast die Sinne raubte.
»Auf dein Herz ist eine Waffe gerichtet. Ich trage ein Nachtsichtgerät. Wenn du dich rührst, stirbst du.«
»Ich tu ja nichts«, murmelte ich.
»Ich werde dich fesseln«, sagte die Stimme. »Dreh dich auf den Bauch und leg die Arme auf den Rücken. Mach ja keinen Fehler, sonst wirst du es bereuen.«
Ich gehorchte. Er wickelte Klebeband um meine Handgelenke, meine Knöchel, meine Knie. Ich hörte, wie er einen Stuhl ans Bett schob, der knarrte, als er sich setzte. Und dann ertönte eine andere Stimme – heiter und ganz entspannt.
»Mann, Carson, ist es denn zu fassen, was man in dieser Stadt für ein ordentliches Steak hinblättern muss?«
Jeremy. In meinem Zimmer waren nur noch die Straßengeräusche zu hören. Ich
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