Bestiarium
des Behälters, waren die Anzeichen von Angst und Verletzung deutlich zu sehen - ein wildes Durcheinander aus Urin, Blut und Exkrementen. Simon hatte diese Beweise bereits eine Stunde vor ihrem Eintreffen eingehend inspiziert. Jedes derart eingesperrte Tier hätte seine Blase aufgrund erhöhten Stresses geleert und seinen Käfig besudelt. Paviane reagierten am heftigsten. Und Elefanten.
»Wir werden einige Tests durchführen. Ich halte nichts von voreiligen Vermutungen.«
In den zwei Jahren, die Jean-Baptiste Simon Dr. Krezlach mittlerweile kannte, hatte er sie noch nie so unsicher erlebt. Irgendetwas war offensichtlich nicht in Ordnung.
»Irgendeine Idee?«
»Noch nicht. Das ist eine ganze Menge Schmutz für einen Container dieser Größe. Das Tier muss Todesangst gehabt haben.« Es waren einige dunkle Blutspuren zu sehen, und sie bestand darauf, eine Schutzmaske zu tragen, und verteilte weitere an jeden Beamten, der sich dem Container nähern musste. Geschützt durch Latexhandschuhe, sammelte sie mithilfe einer sterilisierten Pinzette und einer Pipette Proben auf, füllte sie in Reagenzgläser und legte diese in einen größeren Behälter. Diesen verschloss sie und verstaute ihn in einer kleinen Transportbox.
»Das wird einige Zeit dauern«, sagte sie zu Simon.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte er. Sie sah müde aus und wirkte nervös. Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und erhellte einen trüben, regnerischen Morgen.
»Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen«, meinte sie mit einem traurigen Seufzer. »Wir verlieren mehr, als wir finden.«
»Haben Sie dafür eine Erklärung?« Simon deutete auf die Spuren an der Außenseite des demolierten Frachtbehälters. Ihm kam es so vor, als hätte sich jemand daran zu schaffen gemacht, für ihn ein ziemlich klarer Beweis dafür, dass irgendjemand gewusst hatte, in welchem Container sich das Tier befand.
»Sie brauchen wohl einen Bombenexperten oder so etwas wie einen Metallurgen. Ein wenig kenne ich mich darin aus, aber das hier geht über mein Wissen hinaus. Das ist nicht mein Spezialgebiet«, erwiderte sie und betrachtete die zerbeulte stählerne Seitenwand des Containers, die mit irgendeinem stumpfen Gegenstand bearbeitet oder von einem Gabelstapler gerammt worden war.
»Das habe ich nicht gemeint.« Er strich mit dem Finger über eine Inschrift, die mit einem scharfen Werkzeug, wahrscheinlich einem Taschenmesser, in den Stahl geritzt worden war.
»Einen Moment.« Sie drehte das Stück Metall um hundertachtzig Grad. Die Buchstaben - CSPB - waren deutlich zu erkennen. Sie bat einen Polizisten, davon Infrarot- und Röntgenfotos zu machen.
Inspektor Le Bon saß in seinem Streifenwagen und hatte sein Mobiltelefon am Ohr. Er gab Hubert Mans und Simon mit der anderen Hand ein Zeichen. Während sie sich dem Wagen näherten, ließ er das Seitenfenster nach unten gleiten.
»In einem Museum in der Stadt ist irgendwann zwischen Mitternacht und sieben Uhr dreißig heute Morgen ein Mord geschehen. Ich bezweifle, dass es eine Verbindung gibt, wenn da nicht eine seltsame Parallele wäre. Nämlich die Mordwaffe.«
Simon hatte allmählich genug von irgendwelchen vagen Hinweisen. Er sah Le Bon ungehalten an. »Reden Sie schon.«
»Irgendeine Art spitzes Horn«, fuhr Paul Le Bon fort. »Oder eine Geweihstange oder ein Stoßzahn - ich habe keine Ahnung.«
Für Simon war die Verbindung zu dieser Zeit alles andere als vage. »Es gibt einen wesentlichen Unterschied«, versuchte er Le Bon aufzuklären. »Horn ist Gewebe. Es ist weich. Während eine Geweihstange, die aus Knochensubstanz besteht, viel härter ist. Ein Stoßzahn, der unter die Bestimmungen des Washingtoner Artenschutz-Abkommens fällt, ist im Grunde eine Form emaillierten Elfenbeins. Genauso wie eine Geweihstange kann er leicht als Waffe benutzt werden, um jemanden zu töten.«
»Tut mir leid, ich weiß nicht, wovon Sie reden. Geweihstangen, Stoßzähne, Horn, Knochen - ich weiß nur, dass der Nachtwächter, als er am Ende seiner Schicht auf den Hof ging, um eine Zigarette zu rauchen - jedenfalls lautet so seine Aussage -, die aufgespießte Leiche fand. Das Opfer war ein alter Gärtner. Offenbar muss eine Menge Blut geflossen sein.«
KAPITEL 8
A ls Jean-Baptiste Simon, Hubert Mans und Inspektor Le Bon am berühmten Plantin-Moretus-Museum am Vrijdagmarkt in Antwerpen eintrafen, hatte sich bereits eine Armada von Rettungsfahrzeugen, darunter auch ein Wagen der Feuerwehr, vor dem Renaissancegebäude
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